Hallo,
ein solcher Vorfall ist ärgerlich, und natürlich steigt der Ärger, wenn Ausgleichs- und Ersatzansprüche immer wieder mit der Begründung gemindert werden sollen, dass „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, und die Fluggesellschaft ja eigentlich nicht für den Schaden verantwortlich ist.
Der „außergewöhnliche Umstand“ oder die „Fälle von höherer Gewalt“ sind genau genommen Haftungsausschluss- oder Haftungsminderungsgründe. In anderen Regelungen findet man ähnliche Formulierungen. Hier ist dann die Reden von „Verschulden“.
Um jedoch festzustellen, welche Umstände von den verschiedenen Bezeichnungen erfasst sind, muss zunächst abgegrenzt werden, welches Recht überhaupt zur Anwendung kommt, da jede Rechtsnorm eigenen Voraussetzungen für den Haftungsausschluss oder die Haftungsminderung hat.
Wollen wir den Fall also von Anfang an betrachten:
Anspruchsgrundlage – was ist geltendes Recht?
Im internationalen Flugrecht ist für den Normalreisenden besonders die VO (EG) Nr. 261/2004, sowie das Montrealer Übereinkommen relevant.
VO (EG) steht für Verordnung der Europäischen Gemeinschaft. Man könnte also meinen, dass die Verordnung nur für Flüge innerhalb der EU gilt. Tatsächlich gilt die Verordnung nach Art. 1 Abs. 1 a VO (EG) Nr. 261/2004 auch für alle Flüge, welche in der EU beginnen, unabhängig davon, ob das ausführende Luftfahrtunternehmen einen Sitz in der EU hat.
Insbesondere Art. 6 i. V. m. Art. 9 der Verordnung regelt den Fall der Flugverspätung. Von besonderer Relevanz ist auch Art. 5 i. V. m. Art. 7 der Verordnung, der die Ansprüche bei einer Flugannullierung festlegt. Eine große Verspätung kann die gleichen Rechte wie infolge einer Annullierung begründen. Die genaue Abgrenzung zwischen Verspätung und Annullierung ist strittig:
Vgl. BGH Karlsruhe, Urteil vom 24.09.2013, Az. X ZR 160/12 (einfach in google „BGH X ZR 160/12 Reise-Recht-Wiki.de“ eingeben; gleich als erstes Ergebnis in der Liste zu finden)
Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung besteht grundsätzlich auch für den Fall einer erheblichen Verspätung, wird in diesem Fall jedoch infolge außergewöhnlicher Umstände wieder ausgeschlossen.
AG Nürtingen, Urteil vom 25.01.2013, Az. 46 C 1399/12 (auch leicht mittels google zu finden unter „AG Nürtingen 46 C 1399/12 Reise-Recht-Wiki.de“ als erstes Ergebnis in der Liste)
In Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH kann sich der Fluggast ab einer Verspätung von 3 Stunden und mehr auf die Rechte wie infolge einer Flugannullierung berufen.
AG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2012, Az. 32 C 11469/12 (unter google entsprechend „AG Düsseldorf 32 C 11469/12 Reise-Recht-Wiki.de“)
Entgegen der Rechtsprechung des EuGH begründet eine Verspätung (hier von etwa 9 Stunden) keine Ausgleichszahlungen, wie sie einem Fluggast nach einer Flugannullierung zustehen würde.
Darüber hinaus regelt das Montrealer Übereinkommen mit Art. 19 Montrealer Übereinkommen den Schadensersatz für solche Schäden, die dem Fluggast durch eine Verspätung entstanden sind.
Konkurrenz zwischen den Regelungen – wie verhalten sich die verschiedenen Ansprüche zueinander?
Nun stellt sich die Frage, wie die beiden Regelungen miteinander konkurrieren. Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 stellt klar, dass die Verordnung unbeschadet anderer Schadensersatzansprüche gilt. Es kann folglich Schadensersatz nach dem Montrealer Übereinkommen, sowie nach der VO (EG) Nr. 261/2004 verlangt werden. Dabei ist zu beachten, dass Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004 die Möglichkeit offen lässt, die im Zuge der Verordnung getätigten Ausgleichzahlungen auf die anderen Schadensersatzansprüche anzurechnen. Einer Überkompensation wird dadurch vorgebeugt.
Ansprüche aus der VO (EG) Nr. 261/2004
Aus VO (EG) Nr. 261/2004 ergeben sich für den Fall einer Flugverspätung folgende Ansprüche:
1. Anspruch auf Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO (EG) Nr. 261/2004
Der Anspruch auf Betreuungsleistung besteht sowohl im Fall einer Flugannullierung, als auch bei einer Flugverspätung, und kann nicht mit anderen Schadensersatzansprüchen verrechnet werden, da die Betreuungsleistung nicht als Schadensersatz zu qualifizieren ist. Die Leistung umfasst Mahlzeiten und Erfrischungen, aber auch unentgeltliche Kommunikationsmöglichkeiten, sowie die Unterbringung im Hotel und den Transfer dorthin.
Der Umfang der anzubietenden Leistungen bestimmt sich nach der Wartezeitlänge.
2. Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004
Bei einer Flugannullierung oder einer erheblichen Verspätung (siehe obige Erörterung) besteht neben den Betreuungsleistungsansprüchen auch ein Anspruch auf Ausgleichszahlung.
Die Höhe der Ausgleichszahlung ist abhängig von der Flugentfernung und fällt unter die Rubrik der Schadensersatzansprüche. Er kann daher auf den Anspruch aus Art. 19 Montrealer Übereinkommen angerechnet werden.
Die Ansprüche auf finanzielle Ausgleichszahlungen bestehen nur, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht.
Die außergewöhnlichen Umstände – eine Definition
Der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 entfällt gemäß Art. 5 III der Verordnung, wenn die Flugannullierung bzw. die erheblichen Verspätung infolge außergewöhnlicher Umstände und trotz (hypothetischer) Ergreifung von zumutbaren Maßnahmen vorliegt.
Außergewöhnliche, unvermeidbare Umstände sind beispielsweise politische Instabilität, Sicherheitsrisiken wie Terrorgefahr, Wetterbedingungen oder Streik von Personen, die nicht zum Luftunternehmen gehören.
AG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2013, Az. 43 C 6731/12
Medizinischer Notfall an Bord ist als außergewöhnlicher Umstand zu werten.
LG BERLIN, Urteil vom 28.08.2007. Az. 53 S 242/06
Außergewöhnlicher Umstand mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten und der Landung der Air Force One auf dem Flughafen
Nicht außergewöhnliche Umstände sind im Umkehrschluss alle Sachverhalte, welche die Fluggesellschaft hätte vorhersehen und vermeiden können. Darunter fallen Mängel an den Maschinen oder auch ein Nachtflugverbot, wenn dieses alltagsüblich ist. Zudem kommt es immer auf die eigentliche Verspätungsursache, und nicht auf weitere Faktoren, welche die Verspätung nur steigern, an.
BGH Karlsruhe, Urteil vom 14.10.2008, Az. X ZR 35/08
Kein außergewöhnlicher Umstand bei technischen Defekte