Lieber Fragesteller,
Sie fragen nach konkreten Maßstäben, ab wann man eine Entschädigung bei einer Flugzeitenveränderung verlangen kann. Im konkreten handelt es sich dabei um einen Flug, welcher ursprünglich für 6 Uhr morgens geplant war und dann auf 15:35 Uhr verschoben wurde. Dieser Flug wurde mit der Fluggesellschaft Germania durchgeführt und trug die Flugnummer ST4570.
Da Ihre Frage relativ allgemein gehalten ist, möchte ich diese auch so beantworten.
Sie möchten gegen Germania einen Anspruch auf Entschädigungszahlung geltend machen. Als gesetzliche Grundlage ist hier die Fluggastrechte Verordnung heranzuziehen. Die Fluggastrechte Verordnung ist eine gemeinsame Regelung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates, welche die Ansprüche von Fluggästen gegenüber der jeweiligen Airline reguliert. Diese Ansprüche können geltend gemacht werden, wenn dem Reisenden wegen Nichtbeförderung, Annullierung oder (großer) Verspätung ein Nachteil entstanden ist. Fraglich ist zunächst, welchem Begriff eine solche Flugzeitenverlegung zuzuordnen ist. Dies ist einzelfallabhängig und kann deswegen von mir nicht entschieden werden. Generell ist eine Annullierung jedoch immer dann anzunehmen, wenn das jeweilige Unternehmen seine ursprüngliche Flugplanung aufgegeben hat. Indizien für eine solche Flugaufgabe sind Veränderungen bezüglich Abflugzeiten, der Route, der Airline, des Flughafens und/oder der Flugnummer. Hier kann schon ein Blick auf den Boardingpass weiterhelfen. Die Änderung der Flugnummer ist meiner Ansicht nach das stichhaltigste Indiz. Falls nicht von einer Aufgabe des Fluges ausgegangen werden kann, kann die verspätete Abflugzeit als (große) Verspätung oder Nichtbeförderung gewertet werden. Dies macht insofern einen Unterschied, dass die Nichtbeförderung in Art. 4 VO, die Annullierung in Art. 5 VO und die Verspätung in Art. 6 VO geregelt ist. Zudem verweisen Art. 4 VO und Art. 5 VO, im Gegensatz zu Art. 6 VO, auf die begehrten Ausgleichszahlungen, welche in Art. 7 VO geregelt sind. Mittlerweile ist es jedoch zur Rechtspraxis geworden Ausgleichszahlungen auch in Verspätungsfällen zu veranlassen.
Zu dieser Thematik ein paar interessante Urteile:
EuGH, Urteil vom 13.10.2011, Az. C-83/10 (einfach zu finden wenn Sie folgendes bei Google eingeben: "reise-recht-wiki EuGH C-83/10")
Hier wurde bestätigt, dass beispielsweise auch dann eine Annullierung anzunehmen sei, wenn ein Flug auf den nächsten Tag verlegt werde.
EuGH, Urteil vom 19.11.2009, Az: C-402/07 (ganz einfach zu finden, wenn Sie bei Google eingeben: “EuGH C-402/07reise-recht-wiki.de“)
Hier hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der Abflug am nächsten Tag keine Annullierung, sondern eine Verspätung darstellte. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.
Landgericht Darmstadt, Urteil vom 12. 07. 2006 Az: 21 S 82/06 (ganz einfach zu finden: “LG Darmstadt 21-S 82/06 reise-recht-wiki.de“)
Auch in diesem Urteil hat das Gericht entschieden, dass ein Abflug am nächsten Tag keine Annullierung, sondern ein Verspätung darstelle.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 17. 03 2006 Az: 3 C 109/06 (33) (auch ganz einfach zu finden unter: “AG Rüsselsheim 3 C-109/06 (33) reise-recht-wiki.de“)
In diesem Urteil wird die Abgrenzung von Annullierung und Verspätung sehr gut herausgearbeitet.
BGH- X ZR 34/14 (Google-Sucheingabe: "BGH X ZR 34/14 reise-recht-wiki.de“)
Der BGH hatte entschieden, dass auch eine zeitliche Flug-Verlegung nach hinten einer Nichtbeförderung gleichkomme und dem Kunden dann Ausgleichszahlungen zustehen könnten.
Die Darstellung der verschiedenen Urteile soll verdeutlichen, dass es keine wirklich genauen Maßstäbe gibt und daher immer auf den Einzelfall eingegangen werden muss. So kann ein Anspruch auf Ausgleichzahlung gemäß Art. 5 Abs. 1 c ausgeschlossen sein:
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
Des Weiteren besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Fluggesellschaft der Haftung gemäß Art. 5 Abs. 3 VO entziehen kann.
(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Mithin ist ein Anspruch gemäß Art. 7 VO nicht zweifelsohne zu fordern, sondern muss den jeweiligen Voraussetzungen entsprechen.
Ich hoffe ich konnte einen kleinen Einblick in das Fluggastrecht geben und hoffe, dass Sie erfolgreich gegen Germania vorgehen können.