Lieber Fragesteller,
Sie sind mit der Lufthansa in die USA gereist. Leider mussten Sie am Gepäckband feststellen, dass Ihr Koffer nicht aufzuwinden war. Sie haben dies sogleich der Airline und am Flughafen am Schalter "lost luggage" gemeldet. Daraufhin prüfte die Lufthansa den Gepäckcode und sagte, dass Ihr Koffer "definitiv" im Flugzeug gewesen sei und mit Ihrem Flug in die USA geflogen wäre. Die Lufthansa weist daher jede Schuld von sich und verweist auf den Flughafen als Ansprechpartner.
Sie fragen sich, ob dies korrekt ist und wie Sie weiter vorgehen sollten.
Sie könnten einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 17 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) haben.
Art. 17 Tod und Körperverletzung von Reisenden - Beschädigung von Reisegepäck
„(2) Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzten, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entsteht, jedoch nur, wenn das Ereignis, durch das die Zerstörung, der Verlust oder die Beschädigung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand. Der Luftfrachtführer haftet jedoch nicht, wenn und soweit der Schaden auf die Eigenart des Reisegepäcks oder einen ihm
innewohnenden Mangel zurückzuführen ist. Bei nicht aufgegebenem Reisegepäck, einschließlich persönlicher Gegenstände, haftet der Luftfrachtführer, wenn der Schaden auf sein Verschulden oder das Verschulden seiner Leute zurückzuführen ist.“
Ihr Gepäck könnte verloren gegangen sein. Ein Verlust des Frachtgutes ist gegeben, wenn es untergegangen, unauffindbar oder aus sonstigen tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen vom Frachtführer auf absehbare Zeit nicht an den berechtigten Empfänger ausgeliefert werden kann, der Frachtführer also die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Gut verloren hat. In vielen Fällen taucht das Gepäck nach einer gewissen Zeit wieder auf. Sollte dies auch Ihnen passieren, kommt unter Umständen eine Haftung des Luftfrachtführers wegen Verspätung gemäß Art. 19 MÜ in Betracht. Derzeit ist jedoch laut Ihrer Schilderung und der dazu passenden Definition vom einem Gepäckverlust auszugehen.
Fraglich ist jedoch, ob Lufthansa für diesen auch haften muss. Die Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 MÜ regelt die Haftung des Luftfrachtführers für Güterschäden, wenn das Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde, während der Luftbeförderung entstanden ist. Dabei handelt es sich bei Art. 18 Abs. 1 MÜ um eine eigenständige Anspruchsgrundlage. Der Luftfrachtführer haftet für die dort genannten Güterschäden verschuldensunabhängig. Die verschuldensunabhängige Haftung des Luftfrachtführers, kann – neben Art. 20 MÜ – nur in den vier in Art. 18 Abs. 2 MÜ genannten Fällen durchbrochen werden.
Art. 18 Beschädigung von Gütern
„(1) Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Gütern entsteht, jedoch nur, wenn das Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde, während der Luftbeförderung eingetreten ist.“
(2) Der Luftfrachtführer haftet jedoch nicht, wenn und soweit er nachweist, dass die Zerstörung, der Verlust oder die Beschädigung der Güter durch einen oder mehrere der folgenden Umstände verursacht wurde:
a) die Eigenart der Güter oder ihnen innewohnender Mangel;
b) mangelhafte Verpackung der Güter durch eine andere Person als den Luftfrachtführer oder seine Leute;
c) eine Kriegshandlung oder ein bewaffneter Konflikt;
d) hoheitliches Handeln in Verbindung mit der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr der Güter
(3) Die Luftbeförderung im Sinne des Absatzes 1 umfasst den Zeitraum, während dessen die Güter sich in der Obhut des Luftfrachtführers befinden.“
Maßgeblich ist also, dass Ihr Koffer während der Luftbeförderung verloren gegangen ist. Fraglich ist nun die zeitliche Bestimmung der Obhut des Luftfrachtführers.
1. Begriff der Obhut
Leider ist der Begriff der Obhut weder im Montrealer Übereinkommen noch anderweitig gesetzlich definiert, obwohl er für die Haftung des Luftfrachtführers von zentraler Bedeutung ist. Er bedeutet grundsätzlich, dass sich das Gut im Besitz oder Gewahrsam des Frachtführers befinden muss, und zwar zum Zwecke der Beförderung. Das Gut muss dem Luftfrachtführer also gerade zum Zwecke der Beförderung anvertraut worden sein. Daraus ergibt sich, dass dem Luftfrachtführer nicht nur eine vertragliche Transportpflicht, sondern auch eine vertragliche Obhutspflicht trifft. Er hat alles zu unterlassen, was zu einer Gefährdung des Frachtgutes führen könnte. Entscheidend ist dabei, dass sich die Güter dergestalt im Einwirkungsbereich des Luftfrachtführers befinden, dass dieser jederzeit in der Lage ist, sie seiner Obhutspflicht entsprechend vor Verlust oder Beschädigung zu schützen.
2. Beginn der Obhut
Die Obhut beginnt mit der Annahme des Gutes durch den Luftfrachtführer. Im Frachtrecht wird unter „Annahme“ im Allgemeinen die Übernahme (siehe § 425 Abs. 1 HGB) des Transportgutes durch den Frachtführer in seinen Besitz oder Gewahrsam zum Zwecke der Beförderung verstanden. Es ist nicht erforderlich, dass dem Absender der Güter während der Obhut des Luftfrachtführers sämtliche Einwirkungsmöglichkeiten entzogen sind. Es genügt vielmehr, dass der Luftfrachtführer mit Einverständnis des Ablieferers in die Lage versetzt wird, die tatsächliche Gewalt über das Frachtgut auszuüben und Verluste und Beschädigungen verhindern kann. Dabei muss der Verlust oder die Beschädigung des Frachtgutes nicht auf einem Flughafen, an Bord eines Luftfahrzeuges oder bei einer Landung außerhalb eines Flughafens entstanden sein. In Art. 18 Abs. 3 MÜ wird der haftungsrelevante Zeitraum vielmehr dahingehend definiert, dass sich die Güter in der Obhut des Luftfrachtführers befinden müssen. Übergibt der Luftfrachtführer das Frachtgut freiwillig in die Hand eines Dritten, so wird seine Obhut zumindest im Kernbereich der Luftbeförderung im Regelfall schon deshalb fortbestehen, weil der Dritte seinerseits in Erfüllung seiner dem Luftfrachtführer gegenüber bestehenden Vertragspflichten zum sorgsamen Umgang mit dem Frachtgut verpflichtet ist.
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