Sehr geehrter Fragesteller,
bei einem Streik kommt es darauf an, ob dieser als ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Erwägungsgrundes 14 der Verordnung (EG) 261/2004 betrachtet wird.
„Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.“
Zwar umschließt der Wortlaut des Gesetzestextes auch Streiks als haftungsausschließenden Grund, jedoch darf das nicht so pauschal betrachtet werden.
(1) Streik des eigenen Personals – Piloten und Abfertigung
Ein Streik eigener Piloten gehört regelmäßig zu Ereignissen, mit denen eine Fluggesellschaft im Rahmen ihrer betrieblichen Tätigkeit zu rechnen hat.
Vgl. AG Frankfurt am Main, Urt. v. 09. Mai 2006, Akz. 31 C 2820/05-74:
„Ein Streik des eigenen Personals einer Fluggesellschaft kann nur dann als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 angesehen werden, wenn dieser für die Fluggesellschaft nicht vorhersehbar war und ihr im Übrigen keine nicht vollkommen unzumutbare Möglichkeit blieb, auf den Streik zu reagieren und ihr Verhalten beispielsweise durch Ersatzbeschaffung von Personal darauf einzustellen.“
Beim Pilotenstreik anderer Fluggesellschaft wird das Luftfahrtunternehmen, denke ich, erklären müssen, inwiefern der eigene Betrieb dadurch betroffen wurde, welche Maßnahmen ergriffen wurden oder warum es nicht möglich war, die Verspätung/Annullierung zu verhindern.
Ähnlich verhält es sich beim Streik des Abfertigungspersonals. Das Luftfahrtunternehmen muss dann nachweisen, dass eine Flugverspätung oder Annullierung auch unter Einsatz des Bodenpersonals kooperierender Unternehmen sich nicht hätte vermeiden lassen können.
(2) Fluglotsenstreik im Inland
Ein Fluglotsenstreik im Start- oder Zielland wird regelmäßig als außergewöhnlicher Umstand anerkannt. Es kommt dann lediglich darauf an, ob es keine zumutbaren Möglichkeiten gegeben hat, den Flug doch noch stattfinden zu lassen.
Vgl. AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 31.01.2011, 4 C 308/10:
„Ausweislich Ziffer 14 der Erwägungsgründe können sich Umstände im Sinne des Artikels 5 Abs. 3 der Fluggästeverordnung EU aus Streiks ergeben, die den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigen.
Unstreitig haben am 23.02.2010 die französischen Fluglotsen gestreikt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Streik die Ursache für die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges war. Insoweit hat der Zeuge H. umfassend erläutert, dass die französische Behörde, die DGAC, eine Annullierung von 50 % der Flüge wegen des Streiks der Fluglotsen verlangt hat.“
(3) Fluglotsenstreik im Ausland
Ein Streik der Fluglotsen im Ausland (also nicht im Start- oder Zielland) ist normalerweise ein Ereignis, das die Flugtätigkeit zwischen anderen Ländern nicht betreffen sollte. Sollte sich die Fluggesellschaft damit entlasten wollen, wird sie wieder erklären müssen, inwiefern genau der Streik im Ausland sich auf andere Flüge ausgewirkt hat (Vgl. dazu AG Hannover, Urt. v. 18.04.2012, 416 C 12559/11)
(4) Streik des Bodenpersonals
Ein Streik des Flughafenpersonals bzw. des Bodenpersonals kann als ein außergewöhnlicher Umstand geltend gemacht werden, jedoch müssen die genauen Umstände dargelegt werden, die die Unvermeidbarkeit der Annullierung begründen.
Vgl. AG Düsseldorf · Urteil vom 9. November 2011 · Az. 40 C 8546/11:
„Zwar behauptet sie, dass ihr Bodenpersonal in Paris in einen lediglich zwei Stunden vor dem Flug angekündigten Streik getreten sei, jedoch hat die Beklagte nicht schlüssig dargelegt, dass sich die Annullierung auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte vermeiden lassen.
Hierzu hat die Beklagte lediglich vorgetragen, dass ihr aufgrund des Streiks nur eine Minimalbesetzung zur Abfertigung der Flüge zur Verfügung gestanden hätte. Eine Annullierung des Fluges des Klägers sei nicht zu vermeiden gewesen. Die Beschaffung von Ersatzpersonal sei nicht möglich gewesen.
Dieser Vortrag ist nicht ausreichend, worauf auch der Kläger ausdrücklich hingewiesen hat. Die Beklagte hätte zumindest vortragen müssen, wie viele Mitarbeiter ihr zur Verfügung standen, wie viele für die Abfertigung eines Fluges benötigt werden und warum nicht zumindest eine verspätete Abfertigung des Fluges des Klägers möglich war. Auch ist nicht nachvollziehbar, warum nicht Bodenpersonal einer kooperierenden Airline zur Abfertigung des Fluges eingesetzt wurde.“
(5) Mögliche Ausgleichszahlungen und Schadensersatz
Ob Ihnen eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) 261/2004 zusteht oder nicht, hängt davon ab, ob der konkrete Streik ein außergewöhnlicher Umstand ist und sich hätte nicht vermeiden lassen, oder nicht.
Dasselbe gilt auch, wenn sie weitergehenden Schadensersatz geltend machen wollen (z.B. Verdienstausfall u.Ä.).
Nach Art. 8 der Verordnung dürfen Sie zwischen einem Ersatzflug zum frühestmöglichen Zeitpunkt, einer anderweitigen Beförderung bei vergleichbaren Reisebedingungen und einer Erstattung der Flugtickets wählen. Sollte der Flug am 15.04.15 wirklich der frühestmögliche sein und es keine anderen Möglichkeiten gegeben hat, Sie dennoch schneller ans Ziel zu bringen, entfallen etwaige Ansprüche auf Erstattung der Rückreisekosten, da Sie bereits die Flugpreiserstattung akzeptiert haben.