Sie wollten einen Flug von Ibiza über München nach Stuttgart wahrnehmen. Der erste Flug hatte jedoch eine Verspätung, weshalb Sie den Anschlussflug von München nach Stuttgart verpasst haben. Sie mussten dann mit dem Auto fahren.
Lufthansa hat die Kosten hierfür übernommen. Sie fragen sich jedoch, ob Sie zusätzlich noch einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung haben.
Mögliche Ansprüche ergeben sich also gegenüber der Fluggesellschaft aus der Europäischen Fluggastrechte Verordnung. Fraglich ist, ob diese in Ihrem Fall in Frage kommen, da der erste Flug nur eine Verspätung von 1,5 Std hatte.
Sie haben Ihren Flug also nur verpasst, weil Ihr Zubringerflugzeug eine Verspätung von 1,5 Std hatte. Überhaupt geht es bei einer Verspätung nicht um die Verspätung beim Abflug, sondern um die Verspätung am Zielort. Dazu das folgende Urteil:
EuGH, Urteil vom 04.09.2014, Az.: C-452/13 8 (einfach zu finden bei Google unter „Az.: C-452/13 8 reise-recht-wiki“)
Der EuGH hat nun klargestellt, dass eine Verspätung beim Abflug keine Voraussetzung für die Entschädigung ist. Es kommt also allein auf die Ankunftsverspätung am Zielflughafen an. Für den Ankunftszeitpunkt ist das Öffnen einer Tür des Flugzeugs maßgebend, und nicht wie bisher von den Gerichten angenommen das Berühren des Bodens (Touch-Down) oder das Erreichen der Parkposition (on-block).
Weiterhin hat der Europäische Gerichtshof in Brüssel (EuGH) hat am 26. Febuar 2013 in einem Urteil die Passagierrechte deutlich gestärkt. Demnach haben Reisende nun auch Recht auf Entschädigungszahlung durch die Fluggesellschaft, wenn sie wegen eines nur leicht verspäteten Zubringerfluges ihren Anschlussflug verpasst haben. Laut Urteil ist für den Anspruch auf eine Ausgleichszahlung allein die Verspätung am Endziel entscheidend. Bisher war die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass im Fall mehrteiliger Flüge eine getrennte Betrachtung jeder einzelnen Flugstrecke erfolgen muss. Dies galt bisher auch, wenn beide Flüge in Verbindung gebucht wurden. Im Fall einer Verspätung des Zubringerfluges unter einer Verspätungszeit von drei Stunden konnten Fluggäste bis zu dem Urteil vom 26. Februar 2013 keine Rechte geltend machen – auch wenn die Verspätung am Endziel wegen des verpassten Anschlussfluges erheblich war. Die verspätete Landung am Endziel war also nicht relevant für einen Entschädigungsanspruch.
Ihr erster Flug hatte 1,5 Std Verspätung, weshalb Sie Ihren Anschlussflug verpasst haben. Sie sind dann mit einer Verspätung von ungefähr 3 Stunden in Stuttgart angekommen. Damit steht Ihnen ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zu.
LG Frankfurt, Urteil vom 26.07.2013 – Az.: 2-24 S 47/12 (einfach zu finden bei Google unter "Az.: 2-24 S 47/12 reise-recht-wiki")
Es ist davon auszugehen, dass ein verpasster Anschlussflug und eine entsprechende Verspätung von mindestens 3 Stunden am Endziel grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch auslöst – auch dann, wenn der Umsteigeflughafen außerhalb der EU liegt oder die Zubringer- und Anschlussflug von verschiedenen Fluggesellschaften durchgeführt wurden.
Sie haben also einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gegen Lufthansa. Die Höhe Ihres Anspruchs ergibt sich aus Artikel 7 der Europäischen Fluggastrechte Verordnung.
"Artikel 7 Ausgleichsanspruch. (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlung in folgender Höhe:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen."
Die Entfernung zwischen Ibiza und Stuttgart beträgt 1.259,89 km. Damit steht Ihnen ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 EUR zu.
Nun wurden Ihnen bereits die Fahrtkosten erstattet. Hier stellt sich nun die Frage wie sich diese Ansprüche zueinander verhalten.
Eine Anrechnung ergibt sich aus Art. 12 VO Weiter gehender Schadensersatz:
(1) Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.
(2) Unbeschadet der einschlägigen Grundsätze und Vorschriften des einzel- staatlichen Rechts, einschließlich der Rechtsprechung, gilt Absatz 1 nicht für Fluggäste, die nach Artikel 4 Absatz 1 freiwillig auf eine Buchung verzichtet haben.
Art. 12 VO Nr. 261/2004 besagt also, dass Schadensersatzansprüche tatsächlich auf die Ausgleichszahlungen angerechnet werden. Das würde in Ihrem Fall bedeuten, dass bei der Ausgleichszahlung die Fahrtkosten abgezogen werden müssen.
So auch folgendes Urteil:
LG Frankfurt, Urt. v. 05.12.2014, Az: 2-24 S 66/14 (bei Google einfach zu finden, indem Sie eingeben: „Az: 2-24 S 66/14 reise-recht-wiki“)
Schadensersatzansprüche sind auf eine zu zahlende Ausgleichsleistung anzurechnen, um eine Überkompensation der Kläger zu vermeiden.
Ich denke also, dass Ihnen zwar eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 EUR pro Person zusteht. Von dieser Summe wird meines Erachtens jedoch die bereits bezahlte Fahrtkosten abgezogen.
Zum Schluss möchte ich noch anbringen, dass dieser Beitrag lediglich eine Rechtseinschätzung darstellt. Für eine professionelle Rechtsberatung wäre es vielleicht von Vorteil zusätzlich noch einen Anwalt zu Rate zu ziehen.