Hallo Frau Lange,
vorliegend könnten möglicherweise verschiedene Rechte aus der europäischen Fluggastrechte Nr. 261/2004 greifen. Ich probiere das hier mal klassisch zu strukturieren:
Anwendbarkeit der Verordnung?
Zunächst müsste man überprüfen, ob die Verordnung Nr. 261/2004 überhaupt in ihrem geschilderten Fall greift. Eine Regelung dazu findet man in Art. 3 I der Verordnung. Demnach gilt die Verordnung nur, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.
Für die Anwendbarkeit ist hier also entscheidend, dass Sie mit einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft geflogen sind, Da sie keine Angabe dazu gemacht haben, nehme ich dies im Folgenden mal an.
Annullierung oder Verspätung?
Die Fluggastrechteverordnung ist für alle Fluggäste, die von einer Annullierung, großen Verspätung oder Nichtbeförderung betroffen sind, gedacht. In ihrem Fall würde ich von einer großen Verspätung sprechen, da Sie zwar pünktlich angeflogen sind, aber letztlich einen ganzen Tag später in Berlin gelandet sind. Die Rechtsprechung ist der Auffassung, dass Flugreisenden, die eine Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden erleiden, ebenfalls ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen zu steht.
Anspruch auf Ausgleichsleistungen?
Dieser Anspruch ist prinzipiell in Art. 7 der Verordnung geregelt und enthält pauschale Entschädigungshöhen, die sich je nach Distanz der Flugstrecke ergeben. Diese sind wie folgt gestaffelt:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Bei Ihnen würde diese Entschädigung also 600 Euro pro Person betragen.
Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands?
Allerdings ist diese Zahlungspflicht in bestimmten Situationen ausgeschlossen. Dies ist gem. Art. 5 III der VO dann der Fall:
„Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
Sie erwähnen, dass es im Flugzeug zu einem medizinischen Notfall kam, weshalb das Flugzeug zwischenlanden musste.
Daher müsste man nun mal einen Blick in die Rechtsprechung werfen, um zu erfahren, wie diese solche Situationen rechtlich bewertet.
AG Düsseldorf, Urt. v. 21.06.2013, Az.: 43 C 673/12 (einfach in Suchmaschine eingeben: 43 C 6731/12 reise-recht-wiki.de)
Die Klägerin hatte beim beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug gebucht. Allerdings wurde der Zielflughafen erst mit einer Verspätung von knapp vier Stunden erreicht, weil ein medizinischer Notfall an Bord eine Zwischenlandung notwendig gemacht hatte. Die Klägerin fordert nun eine Ausgleichszahlung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, während sich die Beklagte auf einen haftungsbefreienden außergewöhnlichen Umstand beruft.
Eine Zwischenlandung aufgrund eines medizinischen Notfalls im Flugzeug begründet einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.
AG Wedding, Urt. v. 28.10.2010, Az.: 2 C 115/10 (einfach in Suchmaschine eingeben: 2 C 115/10 resie-recht-wiki.de)
Ein Reisender buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Dieser verspätete sich aufgrund eines medizinischen Notfalls an Bord um mehr als 5 Stunden. Der Kläger verlangt nun eine Ausgleichszahlung von der Airline. Diese weigert sich der Zahlung. In dem medizinischen Notfall sei ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen, der zu einer Haftungsbefreiung führe. Das Amtsgericht Wedding hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Ein medizinischer Notfall an Bord eines Flugzeuges sei von der Fluggesellschaft nicht zu kontrollieren und stelle aus diesem Grund einen Umstand dar, für den das Unternehmen nicht zu haften habe.
Daher lässt sich wohl allgemein festhalten, dass ein medizinischer Notfall on Board einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, auf den die Airlines zumeist keinen Einfluss haben. Daher schätze ich, dass Sie keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben werden.
Dies ist natürlich nur meine persönliche Meinung. In solch komplexen Fällen ist wohl anzuraten, sich bei spezifischen Fragen an einen Anwalt oder eine Anwältin zu wenden, die mit dem Reiserecht bestens vertraut sind. Lesen Sie auch gerne weitere Beiträge im Forum zum Thema des medizinischen Notfalls.