Lieber Fragesteller,
Ihre Fragen beziehen sich auf drei Gebiete aus der europäischen Fluggastrechteverordnung:
1. Geltungsbereich der europäischen Fluggastrechteverordnung
Die europäische Fluggastrechteverordnung VO (EG) Nr. 261/04 gilt für den Flug, der in einem Mitlgiedstaat der europäischen Union startet und/oder landet. Wenn auch nur das eine Ende der Reise in der Europäischen Union liegt, so greifen die Vorschriften der Verordnung.
2. Vogelschalg auf Vorflug
a. Vorkommnis auf Vorflug
Bei der verspäteten Startzeit hätte der Fluggast nach der europäischen Fluggastrechteverordnung nun einen Ausgleichsanspruch gegen das Luftfahrtunternehmen. Jedoch könnte die Fluggesellschaft sich auf einen außergewöhnlichen Grund berufen und somit von ihrer Zahlungspflicht befreit werden. Die Richter des Amtsgerichts in Rüsselsheim hatten einen Fall zu entscheiden, in dem ein Passagier aus dem „übernächsten“ Flug aufgrund der Verspätung seinen Anspruch geltend machen wollte (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 05.07.2013 – 3 C 145/13 (37), siehe auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 02.11.2012 – 3 C 855/12 (37)). Der vorangegangene Flug war wegen Flugsicherungsanlagen bzw. Kapazitätsbeschränkungen ausgefallen.
Die Richter urteilten, dass ein Ereignis, dass während des Fluges eingetreten ist, allenfalls für den unmittelbar folgenden Flug als außergewöhnlicher Umstand herangezogen werden kann (Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung). Für alle weiteren nachfolgenden Flüge ist das nicht mehr möglich. Die Berufung auf einen außergewöhnlichen Umstand befreit die Airline also nur dann, wenn der Umstand sich nicht auf dem unmittelbaren Vorflug ereignet hat, sondern schon bei davorliegenden Vorumlaufflügen eingetreten ist.
Die Fluggastrechteverordnung trifft keine eindeutige Entscheidung, ob ein außergewöhnlicher Umstand, der die Verspätung eines Fluges zur Folge hat, das Luftfahrtunternehmen auch für die weiteren Flüge von ihrer Ausgleichszahlungspflicht entbindet. So spricht die Verordnung an einer Stelle von einem Flug im Singular, an einer anderen Stelle im Plural. Was die Richter dazu bewegte, so zu entscheiden, war, dass es sich bei den außergewöhnlichen Umständen, die zu einer Befreiung führen, um eine Ausnahme der Regelung geht. Grundlegend soll dem Fluggast im Falle einer Annullierung oder Verspätung ein Ausgleichsanspruch zustehen. Deswegen sind die Ausnahmevorschriften stets eng auszulegen (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2012 – C-22/11 – Finnair/Lassooy). Eine beliebige Verlängerung der Verkettung der außergewöhnlichen Umstände würde das eigentliche Ziel der Verordnung – die Rechte der Fluggäste zu stärken - unterlaufen.
Die Flüge im Umlaufverfahren durchzuführen, ist eine betriebswirtschaftliche Organisationsentscheidung der Fluggesellschaft. Solche Entscheidungen dürfen und sollen nicht zulasten des Fluggastes gehen (vgl. LG Hannover, Urt. v. 18.01.2012 – 14 S 52/11).
b. Vogelschlag
Das Landgericht Darmstadt urteilte, dass es sich bei einem Vogelschlag um einen außergewöhnlichem Umstand i. S. v. Art. 5 Abs. 3 EG (VO) 261/2004 handelt (vgl. LG Darmstadt, Urt. v. 24.07.2013, 7 S 242/12, einfach zu googlen unter "7 S 242/12 Reise-Recht-Wiki.de; auch LG Frankfurt a. M., Urt. v. 29.11.2012, 2-24 S 111/12). Das Luftfahrtunternehmen könne sich gegen das Vorhandensein von Vogelschwärmen nicht durch geeignete Maßnahmen schützen, so die Richter. Desweiteren handele es sich bei einem Vogelschlag nicht um einen technischen Defekt, obwohl der Vogelschlag zum Ausfall eines Triebwerks führen könne. Ein Vogelschlag sei, genau wie schlechtes Wetter, ein Einfluss von außen und falle somit in den Bereich außerhalb des organisatorischen und technischen Bereichs der Luftfahrtgesellschaft und könne von dieser weder beherrscht noch abgewendet werden. Technische Probleme, die zu einer Verspätung führen, stellen grundsätzlich keinen außergewöhnlichen Umstand i. S. d. Verordnung dar, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (vgl. EuGH, Urt. v. 22.12.2008, C-549/07, wird bei Google unter "C-549/07 Reise-Recht-Wiki.de" als erster Treffer angezeigt).
Der Bundesgerichtshof urteilte im Sommer 2013, dass es sich bei einem Vogelschlag um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, welcher das Luftfahrtunternehmen von seiner Zahlungspflicht entbinde (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.2013, X ZR 160/12, einfach zu googlen unter "X ZR 160/12 Reise-Recht-Wiki.de"). Ein solches Ereignis liege außerhalb des technischen und organisatorischen Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft. Die Flugrouten der Vögel könnten weder beherrscht noch beeinflusst werden und somit sei ist für die Airline unmöglich, einen Vogelschlag abzuwenden. Damit zählt ein solches Vorkommnis zu den Einwirkungen von außen auf die Fluggesellschaft, die sie nicht lenken kann.
Zwar sind die Unternehmen zu einer regelmäßigen Wartung ihrer Flugzeuge verpflichtet, doch kann auch diese Wartung einem Vogelschlag nicht vorbeugen. Folglich sind die entstandenen Schäden nicht auf eine fehlende oder mangelhafte Wartung des Flugzeuges zurückzuführen.
3. Geltendmachung des außergewöhnlichen Umstand durch das Luftfahrtunternehmen
Damit sich eine Luftfahrtgesellschaft auf einen Vogelschlag als außergewöhnlichen Umstand berufen kann, so muss sie substantiiert vortragen und bewiesen, wann der Vogelschlag aufgetreten ist (vgl. AG Frankfurt, Urt. v. 17.01.14, 30 C 2462/13, einfach zu googlen unter "30 C 2462/13 Reise-Recht-Wiki.de"). Insbesondere wenn der Vogelschlag bei einem Vor-Flug eingetreten ist, muss das Unternehmen darlegen, ob es nicht angesichts der Zeitspanne zwischen der Landung und des für den streitgegenständlichen Flug geplanten Abflug möglich gewesen wäre, das Flugzeug zu reparieren oder ein Ersatzflugzeug zur Verfügung zu stellen. All diese Informationen muss das Luftfahrtunternehmen schlüssig vortragen, um sich auf den außergewöhnlichen Umstand berufen und sich von der Ausgleichszahlungspflicht befreien zu können.
Außerdem kann sich ein Luftfahrtunternehmen im Prozess nicht auf einen Vogelschlag als außergewöhnlichen Umstand berufen, wenn in ihren vorprozessualen Schreiben davon nie die Rede war, obwohl das Unternehmen dazu aufgefordert worden ist (vgl. AG Düsseldorf, Urt. v. 13.03.2014, 22 C 374/14, einfach zu googlen unter "22 C 374/14 Reise-Recht-Wiki.de").