Liebe Frau Welsch,
Sie hatten mit der Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH einen Flug mit der Flugnummer DE 1601 von HER nach MUC gebucht. Dabei konnte Condor die festgelegte Abflugzeit nicht einhalten, sodass Sie erst mit einer Verspätung von mindestens 12 Stunden in München landeten.
Aufgrund der Verspätung könnten Ihnen Ansprüche aus der Fluggastrechte Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 entstanden sein. Diese regelt die Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung von Flügen.
Die Verspätung könnte einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung begründen.
Folgende Preistabelle dürfte Sie interessieren:
- Bei einer Verspätung von 2 Stunden auf einer Strecke von 1500km oder weniger: 250€
- Bei einer Verspätung von 3 Stunden auf einer Strecke innerhalb der EU oder bis 3500km: 400€
- Bei einer Verspätung von 4 oder mehr Stunden auf einer Strecke außerhalb der EU von 3500km oder mehr: 600€
Der Zahlung könnte sich die Fluggesellschaft jedoch gemäß Art. 5 Abs. 3 VO entziehen. Aufgrund Ihrer Ausführungen und der Tatsache, dass die Condor sich auf einen Haftungsausschluss gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung beruft, möchte ich besonders auf das Tatbestandsmerkmal des außergewöhnlichen Umstandes eingehen.
Exkulpation nach Art. 5 Abs. 3 VO
Demnach entfällt der Anspruch, wenn die Fluggesellschaft nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
In Ihrem Fall wird als außergewöhnlicher Umstand ein technischer Defekt am Flugzeug angegeben.
Dies bedeutet, dass die Fluggesellschaft vortragen und nachweisen muss, dass sie den technischen Defekt nicht hätte verhindern können.
AG Frankfurt, Urteil vom 17.01.14, 30 C 2462/13, (auch ganz einfach zu googlen unter "AG Frankfurt 30 C 2462/13 Reise-Recht-Wiki.de")
In diesem Urteil wird noch einmal hervorgehoben, dass die Fluggesellschaft substantiiert vortragen und darlegen muss , wie es zu dem außergewöhnlichem Umstand gekommen ist, wenn sie sich darauf berufen möchte.
Zudem müsste ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen. Dieser kann immer dann angenommen werden, wenn ein Vorkommnis nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, sondern sich außerhalb dessen bewegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Ein technischer Defekt an einem Flugzeug stellt dabei regelmäßig keinen außergewöhnlichen Umstand dar.
EuGH vom 22.12.2008, C 549/07 (einfach zu finden bei Google unter "EuGH C 549/07 reise-recht-wiki")
Hier hat das Gericht entschieden, dass ein auftretendes technisches Problem am Flugzeug, nur dann unter den Begriff der "außergewöhnlichen Umstände" zu subsumieren seien, wenn das Problem auf Vorkommnisse zurückgeht, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung
LG Darmstadt, Urteil vom 01.12.2010, 7 S 66/10, (ganz einfach zu finden, wenn Sie bei Google „LG Darmstadt 7 S 66/10 Reise-Recht-Wiki.de eingeben“)
Hier hat das Gericht festgestellt, dass es noch nicht als ausreichend erachtet werden könne, falls sich die Fluggesellschaft darauf beruft, dass sie alle vorgeschriebenen Wartungsarbeiten ordnungsgemäß durchgeführt hat. Allein dieser Nachweise sei noch nicht ausreichend um zu beweisen, dass alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3VO ergriffen wurden, um die große Verspätung zu verhindern.
Des Weiteren hätte der außergewöhnliche Umstand hätte nicht vermeidbar gewesen sein dürfen. Eine Vermeidbarkeit eines technischen Defekts wird regelmäßig bejaht, wenn es sich bei diesem um ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu erwartendes Vorkommnis handelt. Von einer Unvermeidbarkeit ist hingegen auszugehen, wenn der Defekt nicht im Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft liegt und für diese auch nicht beherrschbar ist.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.07.2011, Az. 3 C 739/11 (36)(ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst“ AG Rüsselsheim 3 C 739/11 (36) reise-recht-wiki.de“)
Das Gericht verdeutlicht mit diesem Urteil, dass die "außergewöhnlichen Umstände" außerhalb des Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft liegen müssen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Sabotage oder terroristische Handlungen Ursache des technischen Defektes sind.
Zudem hätte das Ergreifen und die Durchführung der Maßnahme auch zumutbar gewesen sein müssen. Dies ist zu bejahen, wenn sie für das Luftfahrtunternehmen nicht in untragbarer Weise belastend ist und die Ausführung der Maßnahme für dieses generell möglich ist, da diese in ihrem Machtbereich liegt.
Nicht vermeidbar und ist beispielsweise ein technischer Defekt, welcher durch einen Vogelschlag ausgelöst wird. Für einen solchen lassen sich leider auch keine zumutbaren Gegenmaßnahmen finden.
BGH, Urteil vom 24.09.2013Az. X ZR 160/12 (ganz einfach zu finden, wenn du bei Google „BGH X ZR 160/12 reise-recht-wiki“ eingibst)
Hier wurde durch einen Vogelschlag ein Turbinenschaden verursacht. In diesem Fall entschied das Gericht, dass ein außergewöhnlicher Umstand zu bejahen sei, da der Umstand nicht vermieden werden konnte und auch keine zumutbaren Gegenmaßnahmen ersichtlich waren.
In Ihrem Fall führt Condor nur sehr allgemein aus, dass die Verspätung durch einen unerwartet aufgetretenen Flugsicherheitsmangel verursacht wurde und nach Ansicht der Condor keine zumutbaren Möglichkeiten bestanden, um die eingetretene Verspätung zu verhindern. Meiner Ansicht nach ist eine solche Begründung nicht ausreichend. Wie bereits geschildert und auch in den Urteilen dargestellt, muss die Fluggesellschaft genauestens vortragen, welcher Umstand zur Verspätung geführt hat, inwiefern der Umstand kausal für die Verspätung war und warum dieser nicht vermeidbar war. Falls Condor keine überzeugenderen Aussagen tätigen kann, wäre meiner Ansicht nach das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes zu verneinen.