Lieber Fragensteller,
auf ihre Frage möchte ich Folgendes antworten:
Ansprüche nach VO(EG) 261/2004
Artikel 9 VO
Zunächst einmal könnte sich in einem Fall wie Ihrem ein möglicher Ersatzanspruch aus der europäischen Fluggastrechte-VO ergeben. Hiernach ist der ausführende Luftfrachtführer im Fall einer Verspätung gem. Artikel 6 in Verbindung mit Artikel 9 VO verpflichtet dem Reisenden unentgeltlich Betreuungsleistungen anzubieten, wozu sowohl Kosten für Mahlzeiten, Taxikosten, Hotelkosten als auch Telefonkosten zählen. Vergleiche Artikel 9 VO:
Artikel 9 Anspruch auf Betreuungsleistungen
(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so sind Fluggästen folgende Leistungen unentgeltlich anzubieten:
a) Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit,
b) Hotelunterbringung, falls
- ein Aufenthalt von einer Nacht oder mehreren Nächten notwendig ist oder
- ein Aufenthalt zusätzlich zu dem vom Fluggast beabsichtigten Aufenthalt notwendig ist,
c) Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges).
(2) Außerdem wird den Fluggästen angeboten, unentgeltlich zwei Telefongespräche zu führen oder zwei Telexe oder Telefaxe oder E-Mails zu versenden.
(3) Bei der Anwendung dieses Artikels hat das ausführende Luftfahrtunternehmen besonders auf die Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen sowie auf die Bedürfnisse von Kindern ohne Begleitung zu achten.
Artikel 7 VO
Zum anderen besteht seit der Entscheidung des EuGHs in der Rechtssache Sturgeon u.a. ./. Condor Flugdienst GmbH und Air France SA (zu finden bei Google unter "reise-recht-wiki C-402/07 und C-432/07") auch für Reisende, die ihr Ziel erst mit einer erheblichen Verspätung von drei oder mehr Stunden erreichen, ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gem. Artikel 7 VO. D.h. allein aufgrund der erheblichen Verspätung ist die Airline verpflichtet dem Reisenden einen pauschalen Schadenersatz zu zahlen, der sich in seiner Höhe nach der Länge der Flugstrecke bestimmt.
außergewöhnliche Umstände Art. 5 Abs. 3 VO
Ihren Ausführungen entnehme ich, dass Lufthansa eine Zahlung von Schadenersatz mit dem Verweis auf einen erfolgreich geführten Entlastungsbeweis verweigert. Hierzu ist zunächst zu sagen, dass die VO grundsätzlich die Möglichkeit kennt, dass ein Anspruch nach dieser VO allein deshalb entfallen kann, weil der Grund für die Verspätung, Annullierung oder Nichtbeförderung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückgeht. So heißt es in Artikel 5 Abs. 3 VO:
Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Diese Entlastung ist nach der VO daher ausdrücklich im Rahmen der Forderung von einer Ausgleichszahlung gem. Art. 7 VO möglich. Allerdings ist es schlichtweg falsch, dass eine solche Entlastung auch bei einer Forderung nach Betreuungsleistungen gem. Art. 9 VO möglich wäre. Die Rechtsprechung hat daher bereits in einer Vielzahl von Urteilen festgestellt, dass eine Anwendung des Artikels 5 Abs. 3 VO auf die Forderung nach Betreuungsleistungen nicht anwendbar ist und die Luftfahrtunternehmen daher auch beim Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen zur Erbringung von Betreuungsleistungen verpflichtet sind. Vergl. u.a. EuGH, Urteil v. 31.01.2013 AZ: C-12/11 (zu finden bei Google unter "reise-recht-wiki C-12/11") oder OLG Koblenz, Urteil v. 11.01.2008 AZ: 3 C 1698/10 -32 (bei Google eingeben "3 C 1698/10 - 32 reise-recht-wiki")
D.h. für ihren Fall, Lufthansa wäre auch beim tatsächlichen Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen dazu verpflichtet gewesen, Ihnen die oben genannten Betreuungsleistungen unentgeltlich zu gewähren. Da sie dies nicht getan haben, steht Ihnen nun Schadenersatz in Höhe der von Ihnen selbst aufgewendeten Kosten für Unterkunft, Taxifahrt, Mahlzeiten und Telefonate zu. Vergl. z.B. EuGH, Urteil v. 31.01.2013 AZ: C-12/11 (zu finden bei Google unter "reise-recht-wiki C-12/11") oder AG Erding, Urteil v. 15.11.2006 AZ: 4 C-661/06 (zu finden bei Google unter "reise-recht-wiki 4 C-661/06")
Einen zusätzlichen Anspruch auf Ausgleichszahlung gem. Artikel 7 VO würde Ihnen dann zustehen, wenn sie eine große Verspätung von 3 oder mehr Stunden am Endziel erlitten haben (vergl. Urteil EuGH Sturgeon) und sich die Lufthansa nicht erfolgreich auf das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen berufen kann. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Ursache für die Verspätung (hier wohl Probleme mit dem Triebwerk) als außergewöhnlicher Umstand zu qualifizieren wäre. Laut EuGH-Urteil in der Rechtssache Wallentin-Hermann ./. Alitalia ( Googleeingabe "reise-recht-wiki C 549/07") ist dies bei einem technischen Problem nur dann der Fall, wenn das Vorkommnis nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Dies erscheint beim Vorliegen eines Triebwerkschadens grundsätzlich jedoch nicht der Fall zu sein, da ein solcher Schaden, wie das LG Düsseldorf mit Urteil v. 07.05.2009 (bei Google einzugeben "reise-recht-wiki 22 S 215/08") entschied, im direkten Organisations- und Einflussbereich des Luftfahrtunternehmens liegt. Daher ist es in Ihrem Fall wichtig zu wissen, was genau die Ursache für die Verspätung war und aus welchen Gründen Lufthansa zu dem Eregbnis kommt, dass es sich hierbei um einen außergewöhnlichen Umstand handelt. Meiner Auffassung nach ist diese Entlastung nämlich beim Vorliegen eines Triebwerkschadens der zügig behoben werden kann wohl eher nicht gegeben.