Lieber Fragesteller!
Bei der verspäteten Startzeit hätte der Fluggast nach der europäischen Fluggastrechteverordnung nun einen Ausgleichsanspruch gegen das Luftfahrtunternehmen. Jedoch könnte die Fluggesellschaft sich auf einen außergewöhnlichen Grund berufen und somit von ihrer Zahlungspflicht befreit werden. Die Richter des Amtsgerichts in Rüsselsheim hatten einen Fall zu entscheiden, in dem ein Passagier aus dem „übernächsten“ Flug aufgrund der Verspätung seinen Anspruch geltend machen wollte (vgl. AG Rüsselsheim, Urt. v. 05.07.2013 – 3 C 145/13 (37), siehe auch AG Rüsselsheim, Urt. v. 02.11.2012 – 3 C 855/12 (37)). Der vorangegangene Flug war wegen Flugsicherungsanlagen bzw. Kapazitätsbeschränkungen ausgefallen.
Die Richter urteilten, dass ein Ereignis, dass während des Fluges eingetreten ist, allenfalls für den unmittelbar folgenden Flug als außergewöhnlicher Umstand herangezogen werden kann (Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung). Für alle weiteren nachfolgenden Flüge ist das nicht mehr möglich. Die Berufung auf einen außergewöhnlichen Umstand befreit die Airline also nur dann, wenn der Umstand sich nicht auf dem unmittelbaren Vorflug ereignet hat, sondern schon bei davorliegenden Vorumlaufflügen eingetreten ist.
Die Fluggastrechteverordnung trifft keine eindeutige Entscheidung, ob ein außergewöhnlicher Umstand, der die Verspätung eines Fluges zur Folge hat, das Luftfahrtunternehmen auch für die weiteren Flüge von ihrer Ausgleichszahlungspflicht entbindet. So spricht die Verordnung an einer Stelle von einem Flug im Singular, an einer anderen Stelle im Plural. Was die Richter dazu bewegte, so zu entscheiden, war, dass es sich bei den außergewöhnlichen Umständen, die zu einer Befreiung führen, um eine Ausnahme der Regelung geht. Grundlegend soll dem Fluggast im Falle einer Annullierung oder Verspätung ein Ausgleichsanspruch zustehen. Deswegen sind die Ausnahmevorschriften stets eng auszulegen (vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2012 – C-22/11 – Finnair/Lassooy). Eine beliebige Verlängerung der Verkettung der außergewöhnlichen Umstände würde das eigentliche Ziel der Verordnung – die Rechte der Fluggäste zu stärken - unterlaufen.
Die Flüge im Umlaufverfahren durchzuführen, ist eine betriebswirtschaftliche Organisationsentscheidung der Fluggesellschaft. Solche Entscheidungen dürfen und sollen nicht zulasten des Fluggastes gehen (vgl. LG Hannover, Urt. v. 18.01.2012 – 14 S 52/11).
Die Unvermeidbarkeit eines außergewöhnlichen Umstands liegt nur dann vor, wenn das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um den Umstand zu verhindern, diese Maßnahmen aber gescheitert sind (vgl. BGH, Urt. v. 04.10.2010 – Xa ZR 15/10). Die Fluggesellschaft muss umfassend vortragen, welche personellen, materiellen und finanziellen Mittel zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen. Außerdem muss das Unternehmen hinreichend begründen, warum es ihm nicht zumutbar war, auf diese Möglichkeiten zurückzugreifen (vgl. AG Paderborn, 15.03.2012 – 50 C 254/11). Im oben genannten Urteil aus Rüsselsheim fehlte es hinzukommend an einem umfassenden Vortrag der Fluggesellschaft. Dieser ist jedoch für die Befreiung von der Ausgleichszahlungspflicht unumgänglich.
Praxistipps:
-
Wenn ein Flug erheblich Verspätung hat, so kann der Fluggast von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung fordern. Diese Zahlung richtete sich nach der Länge des Fluges (Art. 7 Fluggastverordnung).
-
Der Fall des außergewöhnlichen Umstandes befreit die Airline nur von ihrer Zahlungspflicht, wenn der Flug unmittelbar an die Ursache der Verspätung anknüpft. Bei Umlaufflügen ist das also der erste Flug nach Eintritt der Verspätung.
Bei dieser Fragestellung heißt es die Augen offen zu halten. Das Landgericht Hannover hat im November ein Verfahren mit einer ähnlichen Rechtsfrage ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof angerufen. Die Richter fragen explizit nach der Auslegung der Fluggastrechteverordnung, wenn es bei Umlaufflügen zu Verspätungen kommt. Eine Antwort der obersten Richter der Europäischen Union steht noch aus (Stand: April 2014, vgl. LG Hannover, Beschluss vom 29.11.2013 – 14 S 50/13).