Sie sind mit Air France von Hannover nach Miami geflogen. Ihr Flugzeug ist in Frankfurt mit einer Verspätung von 60 Minuten gestartet, weshalb Sie Ihren Anschlussflug in Paris verpasst haben. Sie sind letzendlich mit einer Verspätung von ungefähr einem Tag an Ihrem Zielflughafen in Miami angekommen. Ihnen könnten dadurch Ansprüche aus der Europäischen Fluggastrechte Verordnung zustehen.
Fraglich ist jedoch, ob der Anspruch auch dann besteht, wenn der erste Flug nur eine leichte Verspätung hatte. Der Flug von Frankfurt nach Paris hatte nur eine Verspätung von 60 Minuten. Eine so geringe Verspätung begründet normalerweise keinen Anspruch auf Ausgleichszahlungen aus der Europäischen Fluggastrechte Verordnung. Sie haben durch diese geringe Verspätung jedoch Ihren Anschlusszug verpasst.
Bisher war die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass im Fall mehrteiliger Flüge (also z.B. Zubringerflug von Berlin nach Frankfurt und nachfolgende Langstrecke von Frankfurt nach New York) eine getrennte Betrachtung jeder einzelnen Flugstrecke erfolgen muss. Dies galt bisher auch, wenn beide Flüge in Verbindung gebucht wurden. Im Fall einer Verspätung des Zubringerfluges unter einer Verspätungszeit von drei Stunden konnten Fluggäste bis zu dem Urteil vom 26. Februar 2013 keine Rechte geltend machen – auch wenn die Verspätung am Endziel wegen des verpassten Anschlussfluges erheblich war, sprich mehr als drei Stunden. Der Europäische Gerichtshof in Brüssel (EuGH) hat am 26.02.2013 in einem Urteil die Passagierrechte jedoch deutlich gestärkt. Demnach haben Reisende nun auch ein Recht auf Entschädigungszahlungen durch die Fluggesellschaft, wenn sie wegen eines nur leicht verspäteten Zubringerfluges ihren Anschlussflug verpasst haben. Laut Urteil ist für den Anspruch auf eine Ausgleichszahlung allein die Verspätung am Endziel entscheidend.
LG Frankfurt, Urteil vom 26.07.2013, Az.: 2-24 S 47/12 (Das Urteil kann man im Volltext im Internet finden. Einfach bei Google "reise-recht-wiki Az.: 2-24 S 47/12" eingeben)
Es ist davon auszugehen, dass ein verpasster Anschlussflug und eine entsprechende Verspätung von mindestens 3 Stunden am Endziel grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch auslöst, auch dann, wenn der Umsteigeflughafen außerhalb der EU liegt oder die Zubringer- und Anschlussflug von verschiedenen Fluggesellschaften durchgeführt wurden.
Sie sind an Ihrem Zielflughafen mit einer Verspätung von ungefähr einem Tag angekommen. Sie könnten also einen Anspruch auf Ausgleichszahlung aus Artikel 7 der Verordnung Nr. 261/2004/EG haben. Dieser ergibt sich aus der Entfernung und bemisst sich wie folgt:
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Bei einer Strecke von 1500 km oder weniger: 250€
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Bei einer Strecke innerhalb der EU oder bis 3500 km: 400€
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Bei einer Strecke außerhalb der EU von 3500 km oder mehr: 600€
Die Entfernung zwischen Hannover und Miami beträgt ungefähr 7.762 km. Sie könnten also einen Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 600 EUR geltend machen.
Beachten Sie jedoch, dass die Fluggesellschaft keine Ausgleichszahlungen leisten muss, wenn außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004/EG Ursache der Verspätung waren. Solche Umstände sind zum Beispiel das Vorliegen eines Streiks oder widrige Wetterbedingungen. Sie geben hier als Grund für die Verspätung einen technischen Defekt an. Ein technischer Defekt ist aber in der Regel kein außergewöhnlicher Umstand, der die Fluggesellschaft von Ausgleichszahlungen freistellt. Dies gilt selbst dann, wenn die Fluggesellschaft alle Wartungsarbeiten am Flugzeug frist- und ordnungsgemäß durchgeführt hat.
Urteil vom EuGH, vom 22.12.2008 - Az.: C 549/07 -(Das Urteil kann man im Volltext im Internet finden. Dazu einfach "Az.: C 549/07 reise-recht-wiki" bei Google eingeben)
Ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, fällt nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der VO 261/2004, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Allein der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug durchgeführt hat, reicht nicht für den Nachweis, dass dieses Unternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 ergriffen hat
LG Darmstadt, Urteil vom 20.7.2011 – Az.: 7 S 46/11(Das Urteil kann man im Volltext im Internet finden. Dazu einfach "Az.: 7 S 46/11 reise-recht-wiki" bei Google eingeben)
Für das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände” ist – unabhängig von der Kategorisierung als „technischer Defekt” oder „unerwarteter Sicherheitsmangel” – entscheidend, ob das zugrundeliegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist.
Allein die Seltenheit eines derartigen Defekts und/oder der zeitliche bzw. logistische Aufwand zur Beseitigung dieses Mangels, vor dessen Behebung offenbar aus zwingenden Sicherheitsgründen nicht gestartet werden durfte, entlastet den Luftfrachtführer nach Art. 5 Abs. 3 VO nicht.
AG Köln, Urteil vom 5.4.2006 - Az.: 118 C 595/05 (Das Urteil kann man im Volltext im Internet finden. Dazu einfach "Az.: 118 C 595/05 reise-recht-wiki" bei Google eingeben)
Auch wenn ein technisches Problem als ein „außerordentlicher Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 angesehen wird, muss das Luftfahrtunternehmen substantiiert vortragen, woraus sich ergeben könnte, dass der angegebene technische Defekt unerwartet und unvermeidbar gewesen ist. Die Behauptung, das streitbefangene Flugzeug sei regelmäßig gewartet worden, ist ersichtlich zu pauschal gehalten, um die gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 erforderliche Exkulpation bewirken zu können. (Leitsatz der RRa)
AG Rüsselsheim, Urteil vom 7.11.2006 –Az.: 3 C 717/06 (Das Urteil kann man im Volltext im Internet finden. Dazu einfach "Az.: 3 C 717/06 reise-recht-wiki" bei Goole eingeben)
Ein technischer Defekt mag zwar ungewöhnlich sein, ist aber nicht außergewöhnlich im Sinne der EU-Verordnung und ist auf jeden Fall in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens angesiedelt und daher nicht unbeeinflussbar auf höhere Gewalt bzw. Einwirkung durch Dritte zurückzuführen.
Air France kann sich also nicht auf einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung berufen. Sie haben also einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 600 EUR pro Fluggast.