Sehr geehrter Fragesteller,
Ihr Flug mit Eurowings wurde um 37 Stunden verschoben. Ihrer Nachricht entnehme ich die Fragen, ob a) ein Triebwerkschaden, und b) die Arbeitszeitüberschreitung der Crew als außergewöhnliche Umstände zu bewerten sein könnten. In diesem Zusammenhang möchte ich ihre Fragen zuende denken und feststellen, ob Ihnen c) + d) möglicherweise Ausgleichs- und Betreuungsleistungen zustehen könnten.
> Anwendbarkeit EU-Fluggastrechteverordnung
Gem. Art. 3, Abs. 1, li. a) u. b) Verordnung 261/2004 (siehe ”Reise-Recht-Wiki”) ist die Verordnung gültig für Fluggäste, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.
Ihr Flug geht von Kuba nach Köln und wird von einer deutschen Fluggesellschaft ausgeführt. Die EU-VO ist anwendbar.
> Außergwöhnliche Umstände
Gem. Art. 5, Abs. 3, VO 261/2004 kann das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen Fluggesellschaften dazu befähigen sich von sonst zu leistenden Ausgleichsleistungen zu befreien. Ob ein Triebwerkschaden und Arbeitszeitüberschreitungen der Crew zu solchen außergewöhnlichen Umständen zählen gilt es festzustellen.
a) Triebwerkschaden
Zu dieser Frage zunächst zwei einschlägige Urteile:
EuGH, Urteil vom 22.12.2008 - Az.: C 549/07 - (einfach zu finden über das Aktenzeichen bei Google unter "reise-recht-wiki")
Ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, fällt nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der VO 261/2004, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Allein der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug durchgeführt hat, reicht nicht für den Nachweis, dass dieses Unternehmen „alle zumutbaren Maßnahmen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 ergriffen hat
LG Darmstadt, Urteil vom 01.08.2007 - Az.: 21 S 263/06 - (einfach zu finden über das Aktenzeichen bei Google unter "reise-recht-wiki")
Aus Erwägungsgrund zur Verordnung (EG) Nr.261/2004 geht hervor, dass als außergewöhnliche Umstände nur solche in Betracht kämen, die außerhalb des direkten Einfluss- und Organisationsbereichs des Flugunternehmens liegen: Die darin aufgeführten Beispiele zeigen, dass es sich hierbei grundsätzlich um Einflussfaktoren handelt, deren Entstehung außerhalb des organisatorischen und technischen Verantwortungsbereiches des Flugunternehmers liegt, die also von diesem nicht beeinflusst und demzufolge auch nicht abgewendet werden können und außerhalb der sogenannten Betriebsgefahr des Fluggerätes liegen.Technische Defekte des Fluggerätes, die Flugsicherheitsmängel verursachen, fallen daher nur dann in den Anwendungsbereich des Art.5 III Verordnung (EG) Nr.261/2004, wenn sie auf derartige äußere Einflüsse zurückzuführen sind, also etwa witterungsbedingte Defekte (z.B. durch Blitzschlag, Hagel u.ä.), Defekte durch unautorisierte Eingriffe von betriebsfremden Dritten (z.B. Terroranschläge, durch den Fluggast selbst herbeigeführte Beschädigungen u.ä.) oder sonstige vergleichbare Umstände (z.B. Vogelschlag).
Demnach ist ein Triebwerkeschaden als technischer Defekt des Fluggerätes nicht als außergewöhnlicher Umstand einzustufen, und die Fluggesellschaft kann diesen im Hinblick auf Ausgleichsleistungen eher nicht anführen, um sich von selbigen zu befreien.
b) Arbeitszeitüberschreitung
Womöglich ist aber eine Arbeitszeitüberschreitung zur Exkulpierung qualifiziert.
Dazu folgendes Urteil:
EuGH, Urteil vom 12.5. 2011 – Az.: C-294/10 (einfach zu finden über Google unter Az.: C-294/10 bei ”reise-recht-wiki”)
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs – und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass das Luftfahrtunternehmen, da es alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen hat, um außergewöhnliche Umstände zu vermeiden, die mit dem etwaigen Eintritt außergewöhnlicher Umstände verbundene Möglichkeit von Verspätungen bei der Flugplanung angemessen berücksichtigen muss. Es muss daher eine gewisse Zeitreserve vorsehen, um den Flug insgesamt möglichst bald nach dem Wegfall der außergewöhnlichen Umstände durchführen zu können.
Selbst wenn also der Triebwerkschaden als außergewöhnlicher Umstand einzustufen ist sind von der Fluggesellschaft Zeitreservern einzuplanen, und eine Arbeitszeitüberschreitung der Crew und damit weitere Verzögerung des Fluges eher nicht selbst als außergewöhnlicher Zustand einzustufen.
Außerdem:
Amtsgericht Hannover, Urteil vom 31.01.2011, Az.: 426 C 12868/10 (einfach zu finden unter dem Aktenzeichen über Google bei ”reise-recht-wiki”)
Die Berufung eines Luftverkehrsunternehmens auf einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 kann nicht damit begründet werden, dass die für den Flug vorgesehene Crew nach einem verspäteten Flug zuerst eine Mindestruhezeit einhalten muss. Es obliegt dem Luftverkehrsunternehmen hier darzulegen, aus welchen Gründen keine Ersatz-Crew gestellt werden konnte.
Diesem Urteil folgend wäre das Luftverkehrsunternehmen verpflichtet gewesen im Falle der Verspätung eine Ersatz-Crew zu stellen. Fraglich ist natürlich, ob die Fluggesellschaft begründen kann, wieso keine Ersatz-Crew gestellt werden konnte. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass eine Fluggesellschaft für solche Fälle eine Ersatz-Crew parat haben sollte, und es für diese schwierig sein könnte nachzuweisen, welche schwerwiegenden Gründe eine Bereitstellung verhindert haben.
c) Ausgleichsleistungen
Sollte sich die Fluggesellschaft also nicht exkulpieren können, dann könnten Ihnen Ausgleichsleistungen zustehen.
Ob der besonders hohen Flugverschiebung von 37 Minuten ist von einer Flugannulierung auszugehen.
(weiter unter Antwort 2)