Guten Tag,
Ihr Rückflug mit Condor von Punta Cana nach Frankfurt wurde verändert. Sie flogen schließlich mit Omni Air und hatten eine Verspätung von 26 Stunden. Sie fragen nun nach Ihren Möglichkeiten, auch was Condors Schreiben angeht, und ob Sie einen Gutschein annehmen müssen.
Eine Verspätung von 26 Stunden weist daraufhin, dass bereits eine Annulierung Ihres Fluges vorgelegen haben könnte.
A. Annulierung
EuGH, Urteil vom 13.10.2011, Az C-83/10 (bei Google einfach zu finden unter, wenn Sie eingeben: „C-83/10 reise-recht-wiki“)
Eine Annullierung liegt immer dann vor, wenn ein Flug nicht so durchgeführt werden kann wie geplant und der Start daher aufgegeben wird. Wird ein Flug auf einen anderen Tag verlegt, ist darin ebenfalls eine Annullierung zu sehen. Es ergeben sich somit auch Ansprüche aus der EU-Fluggastrechteverordnung.
Ihr Flug wurde nicht durchgeführt wie geplant, und bei einer Verspätung von 26 Stunden wurde der geplante Start wahrscheinlich bereits aufgegeben. Es ist von einer Annulierung zu sprechen. Im Falle einer Annulierung können Ihnen Ansprüche gemäß Artikel 5 EU-VO zustehen.
B. Ihre Möglichkeiten
Ihnen können gem. Artikel 5 der EU-Verordnung Ansprüche aus Artikel 7 und 9 derselben zukommen.
I. Anspruch auf Ausgleichszahlungen
Ihre möglichen Ausgleichszahlungen stellen sich dann, gemäß Artikel 7 EU-VO, wie folgt dar:
> Bei einer Verspätung von 2 Stunden auf einer Strecke von 1500km oder weniger > 250€
> Bei einer Verspätung von 3 Stunden bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km > 400 €
> Bei einer Verspätung von 4 oder mehr Stunden bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen > 600 €.
Ob der Entfernung zwischen Punta Cana und Frankfurt, und der Verspätung von 26 Stunden, wären das dann wahrscheinlich 600 Euro pro Fluggast.
Aus Ihrer Nachricht geht hervor, dass Sie bereits am Flughafen waren und dort ausharren mussten, als Sie über die Verspätung informiert wurden. Deshalb kann sich die Fluggesellschaft von Ihrem Anspruch auf Ausgleichsleistungen nicht gemäß Artikel 5 Absatz 1c) der EU-VO exkulpieren, weil sie Sie früh genug informiert hätte.
> Außergewöhnliche Umstände
Gemäß Artikel 5 Absatz 3 hat eine AIrline die Möglichkeit sich von Ansprüchen auf Ausgleichszahlungen zu befreien:
„Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
Condor nannte Ihnen diesbezüglich drei, in deren Augen, außergewöhnliche Umstände: 1. die notwendige Enteisung von Flugzeug und Startbahn, 2. ein technischer Defekt an der Maschine, 3. Überschreitung der Tagesflugzeit der Crew.
1. Enteisung von Flugzeugen und Startbahn
Eine Verzögerung durch Enteisung wurde in folgendem Urteil thematisiert:
BGHS Wien, Urteil vom 29.04.2008, Az.: 1 R 206/07a (einfach zu finden bei Google unter: Az. 1 R 206/07a im reise-recht-wiki.de)
Eine Enteisung dauerte nur 17 Minuten bei einer Verspätung von 4 Stunden.
Ob dies als außergewöhnlicher Umstand zu qualifizieren ist wurde leider offengelassen.
2. Technischer Defekt
Der benannte technische Defekt könnte ein außergewöhnlicher Umstand sein.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 7.11.2006 – Az.: 3 C 717/06 (32) (einfach zu finden bei Google unter Az.: 3 C 717/06 (32) im "reise-recht-wiki")
Ein technischer Defekt mag zwar ungewöhnlich sein, ist aber nicht außergewöhnlich im Sinne der EU-Verordnung und ist auf jeden Fall in der Sphäre des Luftfahrtunternehmens angesiedelt und daher nicht unbeeinflussbar auf höhere Gewalt bzw. Einwirkung durch Dritte zurückzuführen.
EuGH, Urteil vom 22.12.2008 - Az.: C 549/07 - (einfach zu finden bei Google unter Az.: C 549/07 im "reise-recht-wiki")
Ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung eines Fluges führt, fällt nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der VO 261/2004, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Ein technischer Defekt ist also in der Regel nicht als außergewöhnlicher Umstand einzustufen. Dabei liegt die Beweislast auf Seiten der Fluggesellschaft, nicht auf Ihrer.
3. Überschreitung der Tagesflugzeit der Crew
Womöglich ist aber eine Arbeitszeitüberschreitung zur Exkulpierung qualifiziert.
Dazu folgendes Urteil:
EuGH, Urteil vom 12.5. 2011 – Az.: C-294/10 (einfach zu finden über Google unter Az.: C-294/10 bei ”reise-recht-wiki”)
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs – und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass das Luftfahrtunternehmen, da es alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen hat, um außergewöhnliche Umstände zu vermeiden, die mit dem etwaigen Eintritt außergewöhnlicher Umstände verbundene Möglichkeit von Verspätungen bei der Flugplanung angemessen berücksichtigen muss. Es muss daher eine gewisse Zeitreserve vorsehen, um den Flug insgesamt möglichst bald nach dem Wegfall der außergewöhnlichen Umstände durchführen zu können.
Auch eine Überschreitung der Arbeitszeit ist also in der Regel kein außergewöhnlicher Umstand.
> Die von Condor aufgeführten außergewöhnlichen Umstände sind wahrscheinlich nicht dazu qualifziert Ansprüche auf Ausgleichszahlungen abzuschlagen. Natürlich ist dies aber nicht mit Sicherheit zu sagen, und wird im Einzelfall zu entscheiden sein.