Lieber Peet,
Du bist am 01.September 2015 in Begleitung mit TUI von HAJ nach RHO geflogen. Am Abreisetag bekamst du einen Anruf und eine Mail von LTUR. Euch wurde sodann mitgeteilt, dass euer Hinflug eine Verspätung von 9:25 h haben würde. Begründet wurde dies von LTUR mit einem Flugzeugtausch oder einem fehlenden Flugzeug Nach mehreren Briefwechseln mit der Fluggesellschaft TUI, stellte sich heraus, dass die Verspätung auf schlechte Wetterverhältnisse über dem Atlantik zurückzuführen sei. Als Entschädigung würde dir nun pro Reisendem ein Gutschein über 200€ angeboten. Du fragst dich nun ob es sich lohnen würde gerichtlich vorzugehen, oder du dich mit den angebotenen Reisegutscheinen begnügen solltest.
I. Anspruchsgrundlage
Du könntest einen Anspruch auf Ausgleichszahlung geltend machen. Dieser ergibt sich aus Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung (VO). Die 1. Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 ist eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Dein Flugzeug erreichte mit einer Verspätung von 9:25 h den Flughafen von Rhodos. Eine große Verspätung ist daher anzunehmen. Die Anwendbarkeit der Verordnung ist zweifelsohne zu bejahen.
Folgende Auslistung zeigt die Höhe der möglichen Ausgleichszahlungen:
- Bei einer Verspätung von 2 Stunden auf einer Strecke von 1500km oder weniger: 250€
- Bei einer Verspätung von 3 Stunden auf einer Strecke innerhalb der EU oder bis 3500km: 400€
- Bei einer Verspätung von 4 oder mehr Stunden auf einer Strecke außerhalb der EU von 3500km oder mehr: 600€
Die Entfernung von Hannover nach Rhodos beträgt in etwa 2300 km, sodass dir ein Anspruch auf Zahlung von 400 Euro zustehen könnte. Die Voraussetzungen des Art. 7 VO sind unstreitig erfüllt. Fraglich ist jedoch, ob sich die Airline exkulpieren kann.
II. Exkulpation
Die Fluggesellschaft haftet jedoch nicht für etwaige Verspätungen, wenn sie sich auf Art. 5 Abs. 3 VO berufen kann.
Art. 5 Abs. 3 VO, Annullierung
„(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
Der Art. 5 Abs. 3 VO verdeutlicht also zunächst, dass die Fluggesellschaft die Nachweispflicht, für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes, trifft. Kann sie dies nicht nachweisen, haftet sie im vollen Umfang.
AG Frankfurt, Urteil vom 17.01.14, 30 C 2462/13, (auch ganz einfach zu googlen unter "AG Frankfurt 30 C 2462/13 Reise-Recht-Wiki.de")
In diesem Urteil wird noch einmal hervorgehoben, dass die Fluggesellschaft substantiiert vortragen und darlegen muss , wie es zu dem außergewöhnlichem Umstand gekommen ist, wenn sie sich darauf berufen möchte.
Des Weiteren müssten die schlechten Wetterverhältnisse einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO darstellen. Ein außergewöhnlicher Umstand ist zu bejahen, wenn ein Ereignis nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Vorfälle erfasst werden, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als - jedenfalls in der Regel von außen kommende - besondere Umstände seine ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Wetterbedingungen sind als außergewöhnliche Umstände nur dann anzusehen, wenn alle Luftfahrtunternehmen davon gleichermaßen betroffen sind.
Leider wird nicht ganz klar, was an den Wetterverhältnissen schwierig gewesen sein soll, sodass ein außergewöhnlicher Umstand hier, meiner Ansicht nach, weder sicher verneint noch bejaht werden kann. Daher möchte ich hier nur ein paar Arten außergewöhnlicher Umstände aufzeigen:
Außergewöhnlich waren beispielsweise die Flugverbote aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull in Island im Jahr 2010.
Vgl. EuGH, Urteil vom 31.01.2013, Az. C 12/11 (ganz einfach zu finden, wenn du bei Google „Reise-Recht-Wiki EuGH C 12/11“ eingibst)
Hier hat der EuGH entschieden, dass die Schließung eines Teils des europäischen Luftraums nach Vulkanausbruch einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechte Verordnung darstellt.
Des Weiteren kann auch ein Blitzschlag einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Die Besonderheit am folgenden Urteil ist zudem, dass der außergewöhnliche Umstand des Vorfluges nicht für den nachfolgenden Flug angegeben werden darf. Möglicherweise bezieht sich auch in deinem Fall die Aussage zu den Wetterverhältnissen auf den Vorflug.
AG Erding, Urteil vom 23.07.2012, Aktenzeichen 3 C 719/12 (auch einfach zu finden unter „Reise-Recht-Wiki AG Erding 3 C 719/12“)
Hier ging es um eine Verspätung von 3:40 h auf einem Flug von München nach Rom. Das dafür vorgesehen Flugzeug wurde auf dem Vorflug von einem Blitz getroffen. Daraufhin musste das Flugzeug auf Schäden überprüft werden, was zu Verspätungen auf Folgeflügen führte. Zwar sei ein Blitzschlag ein außergewöhnlicher Umstand, dieser dürfe aber nur für den Flug gelten, zu welchem der Blitz tatsächlich einschlug. Darüber hinaus konnte die Fluggesellschaft nicht ausreichend darlegen, dass sie alles unter personellen, materiellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten mögliche unternommen hat, um die Verspätung zu vermeiden.
Auch eine Nebelbildung am Zielflughafen kann einen außergewöhnlichen Umstand begründen.
Vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 11. Januar 2008, Az. 10 U 385/0 (Das Urteil kann man wieder ganz einfach finden unter „OLG Koblenz Az. 10 U 385/0 Reise-Recht-Wiki")
Hier konnte wegen Nebel der Zielflughafen nicht angeflogen werden. Die Klägerin konnte keine Ausgleichszahlungen verlangen, da ein außergewöhnlicher Umstand bejaht wurde.
Die Fluggesellschaft könnte wegen schlechter Wetterbedingungen also tatsächlich von Ausgleichszahlungen befreit sein. Dies hängt jedoch maßgeblich von den tatsächlichen Wetterverhältnissen im Einzelfall ab und muss daher, mangels genauer Angaben, zunächst offen bleiben.
III. Reisegutschein
Die Auszahlungsart des Ausgleichsanspruches ist wie folgt in Art. 7 Abs. 3 VO geregelt:
Art. 7 Abs. 3 VO, Ausgleichszahlung
„(3) Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.“
Demnach kann eine Ausgleichszahlung in Form eines Reisegutscheins erfolgen, jedoch nur, wenn der Fluggast sein Einverständnis in schriftlicher Form dazu abgibt. Es besteht daher keine Verpflichtung, seitens des Fluggastes, einen Reisegutschein anzunehmen.