Lieber Herr Kasten,
Sie haben einen Flug mit Air France von New York nach Paris gebucht. Leider verließen Sie New York erst mit einer Verspätung von 5 Stunden. Als Grund für diese Verspätung gab die Fluggesellschaft eine Verspätung des vorherigen Fluges an. Dieser konnte wegen Sicherheitsmaßnahmen nur mit einer Verspätung in Paris starten. Die Fluggesellschaft will sich nun jeglicher Haftung entziehen, indem sie die Sicherheitsmaßnahmen als außergewöhnliche Umstände klassifiziert. Sie fragen sich, ob Sie trotzdem Ansprüche gegen Air France geltend machen können.
Ein Anspruch könnte sich aus der Fluggastrechte Verordnung ergeben. Diese dient dem Schutz der Fluggäste in Fällen der Nichtbeförderung, Annullierung und großen Verspätung.
I. Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich ist gemäß Art. 3 Abs. 1 a VO eröffnet, wenn es sich um Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten. Dies ist hier zu bejahen, da es sich bei Air France um eine französische Fluggesellschaft handelt und die Landung auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaates stattfand. Somit ist der Anwendungsbereich eröffnet.
II. Anspruchsgegener
Anspruchsgegner ist gemäß Art. 3 Abs. 5 VO immer das ausführende Luftfahrtunternehmen. In ihrem Fall ist daher Air France der korrekte Anspruchsgegener.
III. Anspruchsgrundlage
Die Ihnen entstandene Verspätung, könnte etwaige Zahlungsansprüche begründen. Sie geben an, dass der Flieger mit einer Verspätung von 5 Stunden abflog. An dieser Stelle ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nicht der verspätete Abflug, sondern die verspätete Ankunft maßgeblich ist. Der Europäische Gerichtshof bestimmt den tatsächlichen Ankunftszeitpunkt als den Moment, in dem das Flugzeug nach der Landung die Türen öffnet und den Passagieren den Ausstieg ermöglicht. Es fand somit eine klare Abgrenzung zum Touch Down, der Erreichung der Parkposition und der Türöffnung statt.
EuGH, Urteil vom 04.09.2014, Az. C-452/13 (ganz einfach zu finden, wenn Sie bei Google eingeben “ EuGH C 452/13 reise-recht-wiki.de“)
Es ist häufig der Fall, dass die Fluggesellschaften im Vorhinein längere Flugzeiten berechnen. So können sie bei einem verspäteten Abflug während des Fluges „wieder Zeit gut machen“. Es wäre daher sinnvoll, dass Sie herausfinden, wann ihr Flug genau in Paris gelandet ist. Wann also die Türen des Flugzeuges geöffnet wurden. Je nach Größe der Verspätung kann Ihnen dann eine Zahlung in folgender Höhe zustehen:
- Bei einer Verspätung von 2 Stunden auf einer Strecke von 1500km oder weniger: 250€
- Bei einer Verspätung von 3 Stunden auf einer Strecke innerhalb der EU oder bis 3500km: 400€
- Bei einer Verspätung von 4 oder mehr Stunden auf einer Strecke außerhalb der EU von 3500km oder mehr: 600€
Fraglich ist jedoch, ob sich Air France der Haftung gemäß Art. 5 Abs. 3 VO entziehen kann.
Dies wäre dann der Fall, wenn für die Verzögerung ein außergewöhnlicher Umstand verantwortlich war, welchen Air France auch dann nicht hätte vermeiden können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
In Ihrem Fall wird auf das Auftreten einer Sicherheitsmaßnahme verwiesen. Ich kann mir darunter leider kaum etwas vorstellen. Möglicherweise soll dies einem sicherheitsrelevanten technischen Defekt entsprechen. Jedoch begründet auch ein technischer Defekt in der Regel keinen außergewöhnlichen Umstand. Als Grund dafür hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung am 17.09.2015 angegeben, dass ein technischer Defekt schon deswegen keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt, da der Flugbetrieb technische Probleme prinzipiell mit sich bringt. Daher sehen sich Luftfahrtunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeit gewöhnlich solchen Problemen gegenübergestellt.
Vgl. EuGH, Urteil vom 17.09.2015 Az. C-257/14 (Das ist ein äußerst aktuelles und interessantes Thema im Bereich der Fluggastrechte. Ganz einfach zu finden, wenn Sie „EuGH C 257/14 bei reise-recht-wiki“ eingeben)
Ein außergewöhnlicher Umstand könnte sich höchstens bejahen lassen, wenn durch Sabotageakte oder terroristische Handlungen ein Schaden an einem Flugzeug verursacht wird oder ein unerwarteter Fabrikationsfehler seitens des Herstellers auftritt.
Vgl. AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.07.2011, Az. 3 C 739/11 (36)(ganz einfach zu finden, wenn Sie bei Google eingeben“ AG Rüsselsheim 3 C 739/11 (36) reise-recht-wiki.de“)
Des Weiteren wird auch angenommen, dass ein außergewöhnlicher Umstand des Vorfluges nicht auf den nachfolgenden Flug übertragen werden darf.
Vgl. LG Darmstadt 6. November 2013 Az.7 S 208/12 (Googeln Sie einfach „reise-recht-wiki LG Darmstadt 7 S 208/12“)
Zudem müsste dir Airline auch substantiiert vortragen und darlegen, wie es zu dem außergewöhnlichen Umstand gekommen ist, wenn sie sich darauf berufen möchte.
Vgl. AG Frankfurt, Urteil vom 17.01.14, 30 C 2462/13, (auch ganz einfach zu googlen unter "AG Frankfurt 30 C 2462/13 reise-recht-wiki.de")
Betrachtet man diese Urteile und vergleicht sie mit Ihrem Fall, lässt es meiner Ansicht nach den Schluss zu, dass ein außergewöhnlicher Umstand zu verneinen wäre. Die Fluggesellschaft hat weder präzise geschildert, welcher außergewöhnliche Umstand vorliegen sollte, noch hat sie diesen nachgewiesen. Selbst wenn das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes bejaht werden kann, so betraf dieser lediglich den vorherigen Flug. Mithin ist ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 VO meiner Meinung nach zu bejahen.
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