Liebe Jessica,
du hast deinen Urlaub in der Türkei verbracht und wolltest mit der Condor Fluggesellschaft GmbH deine Rückreise antreten. Leider musstest du einen Tag vor der Rückreise erfahren, dass dein Flug verschoben wurde. Dein Flug wurde von 11:30 Uhr auf 19.30 Uhr verlegt. Des Weiteren wurde auch der Ankunftsflughafen verlegt. Anstatt in Leipzig, sollte die Landung nun in Berlin stattfinden. Da dein Sohn Angst vor Zügen hat, konntest du die von Condor angebotene Zugreise von Berlin nach Leipzig nicht annehmen, sondern musstest dich von deinem Mann abholen lassen. Du fragst dich nun, ob du für dich, deinen Sohn und deine Mutter Ansprüche gegen die Condor geltend machen kannst.
Deinen Ausführungen zufolge handelte es sich bei deiner Buchung um eine reine Flugbuchung. Diese ist immer von der Pauschalreise abzugrenzen, da andernfalls noch Ansprüche aus dem Reisevertragsrecht des BGB hinzutreten können. Der Unterschied zwischen einer reinen Flugbuchung und einer Pauschalreise ist im Wesentlichen, dass dein Ansprechpartner bei einer reinen Flugbuchung meist die ausführende Airline und bei einer Pauschalreise grundsätzlich der Reiseveranstalter ist. Des Weiteren bucht man bei einer Pauschalreise ein sogenanntes Leistungspakt. Ein solches beinhaltet häufig sowohl Flug-, als auch Hotel- und Transferbuchungen. Falls es sich bei deiner gebuchten Reise doch um eine Pauschalreise handelst, kannst du das ja nochmal in einem weiteren Post kommunizieren.
Ausgehend von der Annahme, dass du nur den Flug bei der Condor gebucht hast, ist die Fluggastrechte Verordnung als gesetzliche Grundlage heranzuziehen. Bei der Fluggastrechte Verordnung handelt es sich um eine Verordnung, welche eine gemeinsame Regelung der Europäischen Union und des Europäischen Rates darstellt und Ansprüche der Fluggäste gegenüber der ausführenden Airline regelt, wenn diese die Passagiere nicht befördert, den Flug annulliert oder ein (große) Verspätung eintritt.
In Fällen wie deinem, in dem die Fluggesellschaft lediglich die die Abflugzeit verschiebt, ist häufig umstritten, ob dies unter den Begriff der Nichtbeförderung, Annullierung oder (großen) Verspätung zu subsumieren ist.
Folgende Urteile könnten dich interessieren, da sie mit deinem Fall vergleichbar sind.
BGH-Urteil vom 17.03.2015 Az. X ZR 34/14 (ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingisbt: "BGH X ZR 34/14 reise-recht-wiki.de“)
Der BGH hatte entschieden, dass auch eine zeitliche Flug-Verlegung nach hinten einer Nichtbeförderung gleichkomme und dem Kunden dann Ausgleichszahlungen zustehen könnten.
Demnach könnte dein Fall eine Nichtbeförderung gemäß Art. 4 VO darstellen.
LG Berlin Urteil vom 13. Dezember 2007 Az. 57 S 44/07 (auch einfach unter LG Berlin 57 S 44/07 bei reise-recht-wiki.de zu finden)
Hier verdeutlicht das Gericht die Auslegung des Begriffes “Annullierung“. Dies sei die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war. Zur Abgrenzung der Verspätung von der Annullierung sei auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Dabei seien bestimmte Indizien heranzuziehen, namentlich die Beförderung mit einer anderen Fluggesellschaft, einem anderen Flugzeug, einer anderen Besatzung, die Vergabe neuer Flugnummern, die Wiederaushändigung des Reisegepäcks, ein erneutes Einchecken, d. h. das erneute Verteilen von Sitzplätzen und/oder einer neuen Bordkarte. Darüber hinaus sei auch die Dauer der Verspätung als Abgrenzungskriterium heranzuziehen. Denn aufgrund des Fixgeschäftscharakters des Beförderungsvertrags könne bei einer Beförderung erst mehrere Stunden oder gar Tage später nicht mehr von dem vertraglich geschuldeten Flug gesprochen werden, sondern von einer Ersatzbeförderung (aliud), weshalb jede Verspätung irgendwann in eine Annullierung umschlagen müsse.
Hier lassen sich meiner Ansicht nach einige Parallelen feststellen. Dein Fall könnte somit als Annullierung zu qualifizieren sein.
EuGH, Urteil vom 19.11.2009, Az: C-402/07 (ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst “EuGH C-402/07 reise-recht-wiki.de“)
Hier hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der Abflug am nächsten Tag keine Annullierung, sondern eine Verspätung darstellte. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.
Somit könnte deine Flugverlegung als Verspätung gemäß Art. 6 VO angesehen werden, da sie ja sogar noch am gleichen Tag stattfindet.
Ich bin der Meinung, dass dein Fall am ehesten dem einer Annullierung entspricht. Eine Annullierung liegt vor, wenn das zuständige Luftfahrtunternehmen seine ursprüngliche Flugplanung für die vorgesehene Strecke aufgeben muss. Ein bestimmter Flug wird im Wesentlichen durch eine bestimmte Flugnummer, eine bestimmte Abflugzeit, einen Abflugort, eine Flugroute und eine konkrete ausführende Fluggesellschaft gekennzeichnet. In deinem Fall änderte sich sowohl die Abflugzeit, als auch der Ankunftsort. Ich würde empfehlen noch einen Blick auf die ausgestellte Bordkarte zu werfen. Falls dort eine andere, als die geplante, Flugnummer vermerkt ist, kann eine Annullierung mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Wenn man eine solche Annullierung bejaht, lassen sich verschiedene Anspruchsgrundlagen finden.
Art. 5 Annullierung.
(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,
b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
(2) Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung.
(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten v