Lieber Fragesteller,
du hast eine Flugbuchung von Fuerteventura nach Stuttgart mit der Airline Sun Express vorgenommen und musstest am Tage der Rückreise unter einer erheblichen Verspätung leiden. Ursprünglich war der Abflug um 19:20 Uhr geplant, dies konnte jedoch seitens der Airline nicht eingehalten werden. Nach mehreren Verschiebungen und verschiedenen Ansagen wurdest du immer weiter vertröstet und hast nachts lediglich einen Essensgutschein erhalten, welcher jedoch nutzlos war, da alle Lokalitäten bereits geschlossen waren. Im Endeffekt kamst du somit erst mit einer Verspätung von 20 Stunden an deinem Zielflughafen an. Verantwortlich für die Verspätung waren sowohl ein technischer Defekt, als auch die Einhaltung der Crew Rest Time. Du fragst dich nun, ob du eine Entschädigung für die entstandenen Strapazen verlangen kannst.
Im Falle einer reinen Flugbuchung ist grundsätzlich die Fluggastrechte Verordnung (VO) heranzuziehen. Diese Verordnung ist eine gemeinsame Regelung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates und beschäftigt sich mit den Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen, die den Fluggästen bei einer Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätung zustehen.
Da dein Flug von einem Mitgliedsstaat zu einem anderen Mitgliedsstaat gebucht wurde, ist der Anwendungsbereich gemäß Art. 3 VO unproblematisch eröffnet.
Ob bei einer Flugverspätung um 20 Stunden eine Annullierung oder eine Verspätung angenommen werden kann ist umstritten. Von einer Annullierung kann immer dann ausgegangen werden, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen die ursprüngliche Flugplanung aufgegeben hat.
Vgl. EuGH, Urteil vom 13.10.2011, Az. C-83/10 (einfach zu finden wenn du wieder bei Google eingibst: reise-recht-wiki EuGH C-83/10)
Hier wurde bestätigt, dass beispielsweise auch dann eine Annullierung anzunehmen sei, wenn ein Flug auf den nächsten Tag verlegt werde.
Vgl. AG Rüsselsheim, Urteil vom 17. 03 2006 Az: 3 C 109/06 (33) (ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst “AG Rüsselsheim 3 C-109/06 (33) reise-recht-wiki.de“)
In diesem Urteil wird die Abgrenzung von Annullierung und Verspätung sehr gut herausgearbeitet.
Bei einer Flugverlegung auf den nächsten Tag kann meiner Ansicht nach dem EuGH gefolgt werden, sodass in deinem Fall eine Annullierung zu bejahen ist.
Die Annullierung ist in Art. 5 VO geregelt. Dieser verweist zudem auf Art. 7, 8 und 9 der Verordnung.
Zunächst könntest du einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 VO geltend machen.
Art. 7 Ausgleichsanspruch (gekürzt)
„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.“
Die Entfernung von Fuerteventura nach Stuttgart beträgt ca. 3000 KM. Mithin kannst du einen in Höhe von 400 Euro pro Person geltend machen.
http://www.entfernung.org/fuerteventura/stuttgart
Dieser Anspruch entfällt jedoch, wenn sich die Airline gemäß Art. 5 Abs. 3 VO der Haftung entziehen kann.
Art. 5 Abs. 3 VO, Annullierung
„(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
Der Art. 5 Abs. 3 VO verdeutlicht also zunächst, dass die Fluggesellschaft die Nachweispflicht, für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes, trifft. Kann sie dies nicht nachweisen, haftet sie im vollen Umfang.
AG Frankfurt, Urteil vom 17.01.14, 30 C 2462/13, (ganz einfach zu googlen unter "AG Frankfurt 30 C 2462/13 reise-recht-wiki.de")
In diesem Urteil wird noch einmal hervorgehoben, dass die Fluggesellschaft substantiiert vortragen und darlegen muss , wie es zu dem außergewöhnlichem Umstand gekommen ist, wenn sie sich darauf berufen möchte.
Des Weiteren müsste ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO vorliegen. Ein außergewöhnlicher Umstand ist zu bejahen, wenn ein Ereignis nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, sondern außerhalb dessen liegt, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Vorfälle erfasst werden, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als - jedenfalls in der Regel von außen kommende - besondere Umstände seine ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Hier kann zum einen der technische Defekt als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass technische Probleme im Regelfall nicht als außergewöhnliche Umstände anzusehen sind, da diese zum Alltag der Fliegerbranche gehören.
Dazu ein paar interessante Urteile:
AG Köln, Urteil vom 05.04.2006, Az. 118 C 595/05 (einfach zu finden bei Google unter "AG Köln 118 C 595/05 reise-recht-wiki.de")
In diesem Urteil wurde ein technischer Defekt als außergewöhnlicher Umstand verneint. Das Gericht kam zu dem Entschluss, dass die Behauptung, dass streitbefangene Flugzeug sei regelmäßig gewartet worden, zu pauschal sei, um den Haftungsausschluss gemäß Artikel 5 Abs.3 VO bewirken zu können.
EuGH vom 22.12.2008, C 549/07 (auch einfach zu finden bei Google unter "EuGH C 549/07 reise-recht-wiki.de")
Hier hat das Gericht entschieden, dass ein auftretendes technisches Problem am Flugzeug, nur dann unter den Begriff der "außergewöhnlichen Umstände" zu subsumieren seien, wenn das Problem auf Vorkommnisse zurückgeht, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung sind.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.07.2011, Az. 3 C 739/11 (36)(ganz einfach zu finden, wenn du bei Google eingibst “ AG Rüsselsheim 3 C 739/11 (36) reise-recht-wiki“)
Das Gericht verdeutlicht mit diesem Urteil, dass die "außergewöhnlichen Umstände" außerhalb des Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft liegen müssen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Sabotage oder terroristische Handlungen Ursache des technischen Defektes sind.
Ich kann deinen Ausführungen keine Anhaltspunkte entnehmen, dass gerade hier ein technischer Defekt einen außergewöhnlichen Umstand darstellen sollte und die Fluggesellschaft diesen auch noch nachgewiesen hätte. Daher bin ich der Ansicht, dass das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes aufgrund eines technischen Defekts hier abzulehnen ist.
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