Lieber Fragesteller,
Sie schildern einen konkreten Einzelfall mit konkreten Fragen zu diesem Sachverhalt. Bitte beachten Sie, dass die folgenden Ausführungen lediglich allgemein gelten und keinen Rechtsrat in Bezug auf Ihren Einzelfall darstellen:
Grundsätzlich ergibt sich für Reisende, die im Rahmen einer Pauschalreise eine Flugverspätung oder Flugannullierung erleiden, die Frage, welche Ansprüche sie auf Grund welcher Anspruchsgrundlagen gegenüber welchem Anspruchsgegner geltend machen können. Dabei sind die von Ihnen angesprochenen Problematiken zu unterscheiden:
1. Anspruchsgegner / Passivlegitimation – Flugverspätung, wen verklagen?
Zunächst können Reisende, die im Rahmen einer Pauschalreise eine Flugverspätung oder eine andere Flugunregelmäßigkeit erleiden – im Gegensatz zu Fluggästen einer Nur-Flugbeförderung - „ihren“ Vertragspartner, den Reiseveranstalter in Anspruch nehmen. Der Reiseveranstalter ist jedoch lediglich für die Ansprüche, die Reisende auf das deutsche Reisevertragsrecht stützen (§§ 651a ff. BGB) richtiger Anspruchsgegner und damit passivlegitimiert.
Für Ansprüche, wie z.B. die Ausgleichszahlung und Entschädigung i.H.v. EUR 250, 400 oder 600 pro Person wegen einer Flugverspätung, ist gemäß Art. 5 i.V.m. Art. 2 lit. b. VO (EG) Nr. 261/2004 ausschließlich das „ausführende Luftfahrtunternehmen“ richtiger Anspruchsgegner und damit passivlegitimiert.
Das bedeutet, dass Reisende, die eine erhebliche Flugverspätung im Rahmen einer Pauschalreise erleiden, sowohl Ansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter, als auch zusätzlich Ansprüche gegenüber der ausführenden Fluggesellschaft geltend machen können und demnach zwei Anspruchsgegner in Anspruch nehmen können.
2. Ausgleichszahlung + Reisepreisminderung = Überkompensation ?
Eine andere Frage ist die, inwieweit Pauschalreisende wegen einer Flugverspätung sowohl Ansprüche gegenüber der Fluggesellschaft, als auch zusätzlich noch eine Reisepreisminderung wegen der Verspätung durchsetzen können.
Einige Gerichte in Deutschland vertreten die Meinung, dass der Reisende, der wegen einer Flugverspätung sowohl Ausgleichszahlungen, als auch zusätzlich noch eine Reisepreisminderung erhält, überkompensiert wäre. Wer z.B. im Rahmen einer Pauschalreise innerhalb Europas eine Flugverspätung von z.B. 18 Stunden erleidet, und (im Falle von mehr als 1.500 km Flugstrecke) für 2 Personen eine Ausgleichszahlung i.H.v. EUR 800,00 gegenüber der Fluggesellschaft durchsetzt, hat grundsätzlich noch Ansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter. War die Flugverspätung für die Reisenden sehr strapaziös und wirkte sich diese erheblich auf die Urlaubserholung aus, ist eine wesentliche Reisepreisminderung für den jeweiligen Tagesreisepreis gemäß §§ 651 d Abs. 1, 651 c, 638 BGB (bei weiteren Mängeln ggf. zusätzlich noch Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit und entgangener Urlaubsfreude) möglich. Angenommen der Quotient der Minderung würde den Wert von EUR 300,00 ergeben (im Verhältnis zum Gesamtreisepreis), könnte der Reisende EUR 800,00 von der ausführenden Fluggesellschaft und zusätzlich EUR 300,00 vom Reiseveranstalter verlangen.
Die Entschädigung i.H.v. insgesamt EUR 1.100,00 (wie im Beispiel) qualifizieren einige Gericht in Deutschland als Überkompensation. Diese Gerichte rechnen die Ausgleichszahlung und Entschädigung wegen der Flugverspätung (im Beispiel i.H.v. EUR 800,00) gemäß Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 auf den „weitergehenden Schadensersatz“ der Reisepreisminderung (im Beispiel i.H.v. EUR 300,00) an, so dass die Reisepreisminderung über EUR 300,00 in der geleisteten Entschädigung / Ausgleichszahlung über EUR 800,00 „aufgeht“ und demnach rechtlich Reisepreisminderungsansprüche erloschen wären. Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 würde nach dieser Rechtsauffassung auch Minderungsansprüche gegenüber einem anderen passivlegitimierten Anspruchsgegner (als dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, also der Airline, die den Flug ausgeführt hat) mitumfassen. Minderungsansprüche gemäß §§ 651 d Abs. 1, 651 c, 638 BGB sind im deutschen Recht strenggenommen gerade keine Schadensersatzansprüche im Sinne des Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004, weshalb es starke Gegenstimmen vorbenannter Rechtsauffassung gibt. Nach vorbenannter Rechtsansicht wäre der Anspruch auf Reisepreisminderung gegenüber dem Reiseveranstalter „erloschen“, wenn die Fluggesellschaft zeitlich als erste die Ausgleichszahlung geleistet hätte.
Diese Rechtsmeinung ist jedoch keineswegs unstrittig. Die Gegenmeinung ist gut vertretbar. Ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes bzw. des Europäischen Gerichtshofes zu dieser Frage liegt bisher nicht vor. Daher kann ein Pauschalreisender nach aktueller Rechtslage sowohl die Entschädigung und Ausgleichszahlung von der ausführenden Fluggesellschaft und zusätzlich noch eine Reisepreisminderung vom Reiseveranstalter wegen der Verspätung verlangen oder besser: zeitlich zunächst die Minderung vom Reiseveranstalter und anschließend die Ausgleichszahlung von der ausführenden Airline.
AG Frankfurt am Main, Urt. v. 04.12.2013, Az: 31 C 2243/13 (17) - ANRECHNUNG VERNEINEND:
Der Fluggast hat sich eine Entschädigung des Reiseveranstalters auf Grund einer Reisepreisminderung wegen einer Flugverspätung nicht gemäß Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 auf die geleistete Ausgleichszahlung der Fluggesellschaft anrechnen zu lassen (hier: Reisepreisminderung i.H.v. weiteren EUR 41,00).
ACHTUNG - FORTSETZUNG NÄCHSTER POST: