Sehr geehrter Fragesteller,
zunächst ist einmal festzustellen, dass Ihr Fall nicht in den Bereich der Fluggastrechte einzuordnen ist bzw. nicht mit den Regelungen der Fluggastrechte-Verordnung Nr. 261/2004 gelöst werden kann. Die Fluggastrechte-Verordnung Nr. 261/2004 regelt Ansprüche der Fluggäste gegenüber von Fluggesellschaften, wenn der Flug annulliert wird, sich verspätet, oder Fluggästen die Beförderung verweigert wird.
War der Flug Ihrer Mutter ein Teil einer Pauschalreise, so könnte sie einen Schadensersatzanspruch gegen den Reiseveranstalter haben, der eine ordentliche und sichere Durchführung der Reise zu gewährleisten hat. Das ist jedoch meiner Meinung nach unwahrscheinlich, da der Flughafen kein Erfüllungsgehilfe des Reiseveranstalters ist.
Nun, es gibt mehrere Möglichkeiten. Je nach dem, wie sich der Unfall genau ereignet hat, könnte entweder die Airline oder der Flughafen für die Schäden haften.
(1) Haftung der Fluggesellschaft
Die ausführende Fluggesellschaft könnte gemäß Art. 17 Abs. 1 Montrealer Übereinkommen schadensersatzpflichtig gemacht werden:
„(1) Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, daß ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.“
Das Montrealer Übereinkommen stellt es nicht darauf ab, dass das Luftfahrtunternehmen die Schuld für den Unfall treffen muss bzw. seinen Mitarbeitern Fahrlässigkeit oder Vorsatz nachgewiesen werden müssen.
Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 geklärt, was genau unter „Ein- und Aussteigen“ zu verstehen ist (BGH, Urt. v. 21.11.2017, Az: X ZR 30/15). Die Haftung der Airline beginnt dann, wenn der Unfall sich auf der Treppe zum Flugzeug oder in der Fluggastbrücke ereignet hat.
Wenn der Fall in den Geltungsbereich des Art. 17 Abs. 1 MÜ eingeordnet werden kann, spielt es keine Rolle, ob der Sturz in das allgemeine Lebensrisiko des Fluggastes fällt oder nicht. Gemäß der Feststellung des Bundesgerichtshofes schützt die Norm Fluggäste auch vor Risiken und Unfällen, die auch nur mittelbar mit der Luftbeförderung zu tun haben.
Ob das in Ihrem zutrifft, kann leider nicht abschließend beurteilen. Meines Erachtens ist es wichtig, dass es sich beim Ort des Unfalls um eine Stelle handelt, an der das Einsteigen in das Flugzeug beginnt. Die Haftung könnte auch verneint werden, wenn Fluggäste zuerst über eine Treppe zum Ausgang aus dem Flughafengebäude gelangen müssen und von dort mit einem Bus zum Flugzeug gebracht werden. Das Einsteigen im Sinne des Art. 17 Abs. 1 MÜ könnte dann erst beginnen, wenn Fluggäste die Treppe zum Flugzeug besteigen.
(2) Haftung des Flughafens
Der Flughafenbetreiber könnte schadensersatzpflichtig werden, wenn ihm ein Organisationsverschulden bzw. Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nachgewiesen werden kann, weswegen sich der Unfall ereignete. Soweit ich weiß wird das Boarding hauptsächlich durch Flughafenmitarbeiter durchgeführt und nicht durch die Airlines. Der Flughafenbetreiber hat grundsätzlich Sorge dafür zu tragen, dass der Betrieb auf dem Flughafen gefahrenfrei organisiert wird und auch die Mitarbeiter die Verkehrssicherungspflicht nicht verletzen. Dem Flughafen muss dann nachgewiesen werden, den Ablauf des Boardings nicht sorgfältig genug organisiert haben, sodass es zum Gedränge kam und es evtl. absehbar war, dass eine Verletzungsgefahr entstehen konnte. Bei fehlerfreier Organisation des Boardingvorganges kann der Flughafenbetreiber jedoch eventuell nicht für das Verhalten anderer Menschen in der nachkommenden Gruppe haftbar gemacht werden, das könnte dann tatsächlich in den Bereich des allgemeinen Lebensrisikos fallen, mit dem jeder Mensch umgehen muss.
Bitte beachten Sie, dass meine Antwort keinen verbindlichen Rechtsrat darstellt. Aufgrund der Komplexität Ihres Falles empfehle ich Ihnen, sich an einen Anwalt für Flugrecht zu wenden.