Lieber Fragesteller,
Leider beschreiben Sie Ihren Fall nicht genauer, sodass es schwierig ist, eine sichere Antwort darauf zu geben, warum Ihnen mehrere Anwälte von einer Klage abgeraten haben. Für Sie mag es vielleicht ganz klar sein, doch auch „ganz klare“ Fälle können zu Lasten des Klägers entschieden werden.
Zum einen ist Flugverspätung nicht gleich Flugverspätung. Eine Ausgleichszahlung ist sowieso nur dann vorgesehen, wenn die Verspätung die Reise des Fluggastes potenziell erheblich beeinflussen kann. Art. 6, Abs. 1, lit. a) und b) der Verordnung (EG) 261/2004 legt folgende Voraussetzungen fest:
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Flugstrecke bis einschließlich 1.500 km: Verspätung über 2 Stunden
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Flugstrecke zwischen 1.500 und 3.500 km: Verspätung über 3 Stunden
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Flugstrecke zwischen 1.500 und 3.500 km: Verspätung über 4 Stunden
Je nach der Entfernung stehen dem Fluggast Ausgleichszahlungen in unterschiedlicher Höhe zu. Darüber hinaus besagt § 7, Abs. 2 der Verordnung folgendes: sollte das Luftfahrtunternehmen nach der Bekanntgabe der Verspätung, jedoch nicht später als 2 bzw. 3 bzw. 4 Stunden einen Alternativflug organisieren können, so stehen dem Fluggast nur 50% der Ausgleichszahlungen zu. Art. 3 der Verordnung regelt zudem Fälle, in denen die Verordnung nicht gilt.
Weiterhin kann die Fluggesellschaft außergewöhnliche Umstände nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung geltend machen. Das ist zwar ziemlich schwierig, aber nicht unmöglich. Es müssen Umstände vorliegen, die das Luftfahrtunternehmen nicht zu vertreten hat und es muss nachweisen, dass alle ihm zur Verfügung stehende Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung ergriffen worden waren. Und es kommen wirklich äußerst selten Vorfälle vor, die die Fluggesellschaft aber auch wirklich nicht zu verantworten hat oder wogegen sie nichts unternehmen kann. Es wird nun mal nicht jede Woche ein Flugzeug entführt oder ein Flughafen bedroht und es schneit auch nicht überall heftig mitten im Hochsommer. Technische Probleme mit dem Flugzeug werden nahezu nie als außergewöhnlicher Umstand anerkannt, denn die Gerichte sind der Meinung – bei einer gründlichen Wartung lässt sich jeder Defekt rechtzeitig erkennen und beheben. Auch Witterungsverhältnisse müssen schon besonders heftig und unerwartet sein, um eine Verspätung zu rechtfertigen.
Dennoch, im Zusammenhang mit dem Begriffen „außergewöhnliche Umstände“ und „zumutbaren Maßnahmen“ ist folgendes Urteil sehr interessant. LG Berlin hat am 28. August 2007 (Akz. 53 S 242/06) im Fall einer Flugannullierung (ist ein anderer Begriff, aber an dieser Stelle irrelevant, ob es um Verspätung oder Annullierung geht) entschieden. Es ging bei dem Fall um einen Flug von Dresden nach Frankfurt am Main, wo zu dem Zeitpunkt der US-amerikanische Präsident zu Besuch war und genau am selben Flugtag am Flughafen landen sollte. Außerdem herrschten über ganz Europa schlechte Wetterbedingungen. So, aus diesen beiden Gründen wurde der Flug ohne Ersatz früh am Morgen des Abflugtages annulliert. Das Gericht führte aus, dass sowohl der Besuch des Präsidenten als auch das schlechte Wetter im gesamten europäischen Flugraum sehr wohl außergewöhnlich sind, trotzdem muss man auf die von der Fluggesellschaft ergriffenen Maßnahmen achten. Und auch wenn die beide Umstände nicht plötzlich eingetreten waren, so war die Annullierung eine von mehreren möglichen Maßnahmen und konnte nur in der letzten Minute entschieden werden. Die Absätze 12, 13 und 14 des Urteilstextes, insbesondere der dritte Abschnitt des 14. Absatzes stellt die Logik der Argumentation dar. Zitat:
„Den Luftfahrtunternehmen kann nicht abverlangt werden, schon zu einem Zeitpunkt “alle zumutbaren Maßnahmen” zu ergreifen, wenn die Annullierung des Fluges nur eine Möglichkeit ist. Vielmehr wäre ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit zu fordern, der es zwingend erscheinen lässt, dass das Luftfahrtunternehmen eine Umbuchung oder andere Maßnahmen zum Schutz der Flugreisenden vor Nachteilen ergreift.“
Der 2. Satz heißt übersetzt – die Annullierung muss schon extrem wahrscheinlich sein, damit die Fluggesellschaft sich nach anderen Beförderungsmöglichkeiten umguckt (die zweifelsohne alle mehr kosten, als den Flug einfach nur zu streichen). Sie sehen also, das gibt es auch.
Sollte es sich um einen Flug im Rahmen einer Pauschalreise handeln, dann ist sowieso alles anders. In diesem Fall spricht man von einem Reisemangel nach Art. 651 c BGB. Die dem Reisenden zustehende Entschädigung richtet sich nach den Umständen (zum Beispiel wenn man noch zu einem anderen Flughafen verbracht werden musste), der Dauer der Verspätung, der Dauer der Reise und wie diese durch die Verspätung beeinträchtigt wurde. Zum Beispiel, bei einer 14-tägigen Reise stellt eine 5-stündige Flugverspätung keinen erheblichen Reisemangel dar (vgl. BGH, 07.10.2008, Akz. X ZR 37/08).
Nun zu der Frage, warum die Anwälte die Sache nicht übernehmen wollten. Die Streitsumme von 800€ ist nicht so viel, dass jeder sich darum reißen würde… Es kann leider sein, dass Sie wegen der geringen Summe einfach abgewimmelt wurden. Lesen Sie die Antworten zu dieser Frage durch "Entschädigung wegen Flugverspätung für Anwälte uninteressant???", ich finde hier war die Problematik sehr ausführlich erörtert.
VG