Liebe Sanna,
zunächst einmal, wären für eine vollständige Beantwortung deiner Fragen noch zwei Dinge wichtig zu wissen.
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Handelt es sich bei dem Flug um einen Nur-Flug, d.h. der Flug wurde einzeln direkt bei der Airline gebucht oder um einen Teil einer Pauschalreise, die bei einem Reiseveranstalter gebucht wurde? Das Reiserecht unterscheidet nämlich hinsichtlich seiner Ansprüche nach diesen beiden Fällen.
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Aus welchen Land in Lateinamerika bist du nach Deutschland zurück geflogen? Das ist wichtig für die Entscheidung der Anwendbarkeit des Übereinkommens von Montreal. Nach diesem Übereinkommen könnten sich deine Ansprüche sowohl im Fall eines Nur-Fluges, als auch im Fall einer Pauschalreise richten. Allerdings ist es nur anwendbar, wenn der Start- und Zielflughafen jeweils in einem Mitgliedstaat des Übereinkommens liegt. Nicht alle Lateinamerikanischen Staaten sind jedoch Mitglied des MÜs. Mitgliedsstaaten sind z.B. Brasilien, Uruguay, Ecuador, Kolumbien, Peru oder Chile.
Ansprüche nach dem Übereinkommen von Montreal
Für den Fall, dass dein Flug auf einem Flughafen eines Mitgliedsstaates des MÜ gestartet ist, könnte sich für dich ein möglicher Anspruch aus Artikel 19 Abs. 1 MÜ ergeben. Hiernach hat der Luftfrachtführer den individuellen Schaden des Reisenden zu ersetzten, der durch die verspätete Beförderung von Reisegepäck entstanden ist.
Von einer Verspätung deines Gepäcks im Sinne dieser Norm, ist bei einer Verspätung von 1 Woche unzweifelhaft auszugehen. Daher wäre eine weitere Voraussetzung für die Geltendmachung eines Verspätungsschadens in deinem Fall, dass der Luftfrachtführer, d.h. entweder die Airline oder auch der Reiseveranstalter diese Verspätung deines Gepäcks zu verschulden hat. An einem solchen Verschulden fehlt es gem. Artikel 19 Abs. 2 MÜ immer dann, wenn der Luftfrachtführer nachweisen kann, dass er und seine Leute alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, um einen Verspätungsschaden zu vermeiden oder dass es ihnen nicht möglich war solche Maßnahmen zu ergreifen. Daher wäre es weiterhin wichtig zu wissen, wieso dein Gepäck verspätet ist. Denn nur mit dieser Info lässt sich entscheiden, ob den Luftfrachtführer in deinem Fall für die Verspätung ein Verschulden trifft oder nicht.
Hat der Luftfrachtführer die Verspätung deiner Gepäcks zu verschulden, dann müsste dir weiterhin hieraus ein Schaden entstanden sein. Dieser Punkt erscheint mir in deinem Fall problematisch. Unter einem Schaden versteht man grundsätzlich jede unfreiwillige Einbuße an Rechten oder Rechtsgütern, die eine Person aufgrund eines bestimmten Ereignisses erleidet. Zu einem solchen Schaden zählt u.a. auch der sogenannte Erwerbsschaden. Hierunter ist grundsätzlich eine unfreiwillige Einbuße zu verstehen, die jemand erleidet, weil seine Arbeitskraft vorrübergehend oder dauerhaft beeinträchtigt ist und er mithin einen Schaden im Bezug auf sein Einkommen erleidet.
Wenn ich deine Ausführungen richtig verstanden habe, ist dir momentan jedoch noch nicht ein solcher Schaden entstanden. Denn im Fall das Erwerbsschadens kommt es nicht darauf an, dass deine Arbeitskraft an sich beeinträchtigt ist, sondern dass diese Beeinträchtigung auch zu einem finanziellen Nachteil führt. Im Fall eines Studenten ist dies jedoch erst dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis, d.h. hier die Gepäckverspätung dazu führt, dass sich dein Studium verlängert, weil du z.B. die Frist für die Abgabe deiner Diplomarbeit nicht einhalten konntest und du somit erst später als ohne dieses Ereignis in das Berufsleben einsteigen kannst. Außerdem kennt das deutsche Schadensrecht in nur eng begrenzten Fällen die Möglichkeit, Schadenersatz für immaterielle Schäden zu verlangen. Emotionaler Stress, wie du es genannt hast, gehört jedoch im Rahmen des Artikels 19 MÜ nicht dazu. Daher scheint mir in deinem Fall die Voraussetzung des Schadens erst dann gegeben zu sein, wenn du wirklich die Frist zur Abgabe nicht mehr einhalten kannst. Das wünsche ich dir natürlich nicht! Momentan ist dir jedoch noch kein Schaden entstanden, den du über Artikel 19 MÜ ersetzt verlangen könntest.
Tritt dieser Fall jedoch in nächster Zeit ein, sehe ich in deinem Fall ein weiteres Problem bezüglich des Umfang des Schadensersatzes. Das Übereinkommen von Montreal kennt nämlich in seinem Artikel 20 die Möglichkeit, dass ein theoretisch bestehender Schadenersatz gekürzt werden kann, wenn der Reisende selbst eine Mitschuld daran trägt, dass der Schaden entstanden ist. Eine solche Kürzung erfolgt dann in dem Verhältnis indem das Verschulden des Reisenden und des Luftfrachtführers steht. Deine Situation ähnelt sehr einem Fall, den das LG Köln zu entscheiden hatte (AZ: 10 O 445/87). In diesem Fall hatte ein Reisender ebenfalls wichtige Unterlagen und Dokumente in seinem Koffer aufgegeben, der einer Verspätung zum Opfer viel und er einen Schaden dadurch erlitten hat. In diesem Fall entschied das LG Köln, dass der Reisende keinen Anspruch auf Schadenersatz hat, weil er zu 100 % selbst an der Entstehung des Schadens schuld ist. Es hätte ihm nämlich bewusst sein müssen, dass es bei aufgegeben Koffern zu einer Verspätung kommen kann und er hätte deshalb so wichtige Unterlagen in seinem Handgepäck transportieren müssen. Diesen Vorwurf wird man dir in deinem Fall leider auch mach müssen. Hättest du deinen Laptop und die Filme im Handgepäck transportiert, hättest du sie direkt nach deiner Ankunft in Deutschland zu Verfügung gehabt. Daher wird man in deinem Fall wohl auch davon ausgehen müssen, dass selbst wenn alle anderen Voraussetzungen (Verschulden und Schaden) gegeben sind, dein Schadenersatzanspruch im schlimmsten Fall um 100 % gekürzt wird und du somit nichts bekommst.
Ansprüche aus Reisevertragsrecht
Falls es sich bei deinem Flug, um einen Teil einer Pauschalreise gehandelt haben sollte, könnte sich ein alternativer Anspruch zu Art. 19 MÜ aus § 651f Abs. 1 BGB ergeben. Hiernach kannst du einen etwaigen Schadenersatzanspruch gegen den Reiseveranstalter geltend machen. Hierbei bestehen jedoch vermutlich die gleichen beiden Probleme wie bei einem Anspruch nach Artikel 19 MÜ. Auch hier fehlt es an einem Schaden, solange dir noch kein geldwerter Nachteil in Form eines verzögerten Berufseinstiegs entstanden ist. Und auch hier kann über § 254 BGB ein Mitverschulden deinerseits zu einer vollständigen Kürzung des Anspruches führen.
Daher ist es meiner Meinung nach in deinem Fall fast aussichtslos einen Schadenersatzanspruch geltend zu machen und es ist für dich sehr zu hoffen, dass du dein Gepäck schnellstmöglich unbeschadet zurück erhältst.