Lieber Fragesteller,
du hast mit der Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH einen Flug der Flugnummer DE6599 von CHQ nach MUC gebucht. Die geplante Abflugzeit sollte 10:45 Uhr betragen. Leider konnte Condor dieser Abflugzeit nicht entsprechen, sodass das Flugzeug erst um 3:15 nachts am nächsten Tag startete. Dies hatte zur Folge, dass du mit einer Verspätung von ca. 17 Stunden in München gelandet bist. Grund für die Verzögerung war, laut Aussage eines Condor Mitarbeiters, ein technischer Defekt am Flugzeug. Du fragst dich nun welche Ansprüche aus der erheblichen Verspätung entstanden sein könnten.
Ansprüche könnten sich aus der Fluggastrechte Verordnung ergeben. Je nachdem ob die Verzögerung von 17 Stunden eine Annullierung gemäß Art. 5 VO oder eine Verspätung gemäß 6 VO darstellt, kommt zunächst eine Ausgleichszahlung aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 direkt oder analog in Betracht.
I. Annullierung, Art. 5 VO
Eine Annullierung liegt vor, wenn das Luftfahrtunternehmen seine ursprüngliche Flugplanung für die vorgesehene Strecke aufgibt. Eine solche kennzeichnet sich meist durch Änderungen bezüglich der Flugdaten, der Flugroute, der Flugnummer oder der Fluggesellschaft.
Wenn der Flug annulliert wurde, könntest du direkt Ansprüche auf eine Ausgleichszahlung (Art. 7 VO) geltend machen, da Art. 5 Abs. 3 VO auf Art. 7 VO verweist.
II. Verspätung, Art. 6 VO
Eine Verspätung kann angenommen werden, wenn der Flug entsprechend der geplanten Flugroute durchgeführt wird und sich die tatsächliche Abflugzeit von der geplanten Abflugzeit verzögert.
Bei einer Verspätung wäre eine analoge Anwendung von Art. 7 VO denkbar, da Art. 6 VO keinen Verweis auf die Ausgleichszahlungen enthält.
Folgende Urteile behandeln die Abgrenzung von Annullierung und Verspätung:
EuGH, Urteil vom 19.11.2009, Az: C-402/07 (ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst “EuGH C-402/07 reise-recht-wiki.de“)
Hier hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass der Abflug am nächsten Tag keine Annullierung, sondern eine Verspätung darstellte. Nach dem Urteil des Gerichtshofs kann ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.
Landgericht Darmstadt, Urteil vom 12. 07. 2006 Az: 21 S 82/06 (ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst “LG Darmstadt 21-S 82/06 reise-recht-wiki.de“)
Auch in diesem Urteil hat das Gericht entschieden, dass ein Abflug am nächsten Tag keine Annullierung, sondern ein Verspätung darstelle.
III. Anspruchsgrundlage
Dein Flug hat einen Tag später als geplant begonnen; die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 VO, für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung, lagen daher ohne weiteres vor. In einem solchen Fall steht dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt sind, der in Art. 7 VO vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht
Du hast den Ankunftsflughafen erst 17 Stunden später erreicht, sodass meiner Ansicht nach grundsätzlich ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 VO besteht.
Folgende Preistabelle dürfte dich interessieren:
- Bei einer Verspätung von 2 Stunden auf einer Strecke von 1500km oder weniger: 250€
- Bei einer Verspätung von 3 Stunden auf einer Strecke innerhalb der EU oder bis 3500km: 400€
- Bei einer Verspätung von 4 oder mehr Stunden auf einer Strecke außerhalb der EU von 3500km oder mehr: 600€
IV. Haftungsausschluss nach Art. 5 Abs. 3 VO
Der Anspruch entfällt jedoch dann, wenn die Fluggesellschaft nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Beachtenswert ist dabei vor allem, dass die Nachweispflicht bei der Fluggesellschaft liegt.
Folgende Urteile könnten dich auch interessieren:
AG Frankfurt, Urteil vom 24.06.2011, Az: 31 C 961/11 (16)(ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst“ AG Frankfurt 31 C 961/11 (16) reise-recht-wiki.de“)
Im diesem Fall hat das Gericht den Kläger entsprochen und festgestellt, dass ein Ausgleichsanspruch entstanden ist. In seinen Ausführungen erklärt es, dass ein technischer Defekt sei auch dann kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 VO sei, wenn er eintritt, trotz dass das Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Wartungsmaßnahmen vorgenommen hat. Ein außergewöhnlicher Umstand ist erst dann gegeben, wenn dem Luftfahrtunternehmen keine zumutbaren Maßnahmen zu dessen Abwendung möglich sind.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.07.2011, Az. 3 C 739/11 (36)(ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst“ AG Rüsselsheim 3 C 739/11 (36) reise-recht-wiki.de“)
Das Gericht verdeutlicht mit diesem Urteil, dass die "außergewöhnlichen Umstände" außerhalb des Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft liegen müssen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Sabotage oder terroristische Handlungen Ursache des technischen Defektes sind.