Hey Jessica,
du bist letztes Jahr für 2 Wochen von Berlin nach Hurghada geflogen. Lieder gab es sowohl auf dem Hinflug, als auch auf dem Rückflug Probleme mit deinem Gepäck.
Auf dem Hinflug kam bereits ein Gepäckstück nicht an, sodass du dir Ersatzsachen für die ersten 3 Tage kaufen musstest. Erst wollte man dich mit einem Gutschein abfertigen, jetzt versucht man dich dahingehen zu „drücken“, als dass dir nur 50% der Kosten zu erstatten werden sollen. Dies wird damit begründet, dass die Kleidung auch über den Urlaub hinaus getragen werden könne.
Auf dem Rückflug gab es dann ein heftiges Unwetter und die Handlingsagenten das Gepäck nicht aus den Maschinen laden. Du hast daraufhin 11 Tage auf 4 Gepäckstücke warten müssen. Da es der Rückflug war und du im März noch keine Sommerkleidung brauchtest, musstest du keine Ersatzkleidung kaufen. Trotzdem ging diese Gepäckverspätung mit vielen Unannehmlichkeiten einher, da es eine unendliche Rennerei und Telefoniererei war, bis alle Daten im System waren und das Gepäck endlich gefunden und zugestellt wurde. Die Verlustmeldung wurde hierfür auch aufgegeben, aber eine Entschädigungszahlung will man dir nicht zahlen.
Du fragst dich nun ob und gegebenenfalls welche Ansprüche geltend gemacht werden können.
Als gesetzliche Grundlage findet hier das Montrealer Übereinkommen Anwendung. Das Montrealer Übereinkommen ist als völkerrechtliches Abkommen zwischen den Unterzeichnerstaaten vorrangige Gesetzesgrundlage zur rechtlichen Bewertung von Gepäckschäden, Gepäckverlust und Gepäckverspätung im deutschen und europäischen Recht.
1. Hinflug
Auf dem Hinflug wurde dein Gepäck erst mit einer Verspätung von 3 Tagen an dich ausgehändigt. Bei einer Gepäckverspätung besteht gemäß Art. 19 des Montrealer Übereinkommens ein Anspruch auf Erstattung von Schäden, die kausal mit der Verspätung zusammenhängen. Dazu gehören typischerweise Ersatzkäufe für Sachen, die sich im Gepäck befinden und die der Fluggast sofort beziehungsweise täglich braucht. Wenn das Gepäck verspätet ankommt, dürfen betroffene Passagiere allgemeinhin Notkäufe tätigen — allerdings sollte sich vorher erkundigt werden, was die Airline unter „notwendigen Gütern“ versteht. Ob Zahnbürste oder Unterhose, es sollten immer die Rechnungen der Noteinkäufe aufbewahrt werden, um Ausgaben dokumentieren zu können. Häufig zahlen die Unternehmen jedoch Standardtagessätze: Alle betroffenen Passagiere erhalten in diesem Fall pro Tag eine bestimmte Summe, und zwar bis zu einer maximalen Anzahl an Tagen. Diese Entschädigungssumme sehen die Airlines dann als endgültig an, unabhängig vom tatsächlichen Schaden.
AG Frankfurt, Urteil vom 13.06.2013, Az: 29 C 2518/12 (19) (Das Urteil ist sehr interessant und behandelt einige Fragen aus den EU Fluggastrechten. Du kannst das Urteil im Internet nachlesen, einfach googlen "reise-recht-wiki.de AG Frankfurt 29 C 2518/12 (19)")
Hier hat das AG Frankfurt den Klägern einen Teilanspruch zugesprochen, weil deren Koffer erst mit mehrtägiger Verspätung am Urlaubsort ankamen und sie sich vorort um Ersatz kümmern mussten. Es entschied, dass Kleidungsstücke und Artikel zur Körperpflege ersetzt werden müssen, andere Zusatz- und Luxusprodukte hingegen nicht. Demnach ist ausschlaggebend ob die Anschaffungen notwendig waren. Es stellt sich daher die Frage wie das Merkmal der Notwendigkeit zu konkretisieren ist. Im selbigen Urteil entschied das Gericht, dass bei einer mehrtägigen Verzögerung sämtlicher Gepäckstücke die ersatzweise Anschaffung einer vollständigen Grundgarderobe und entsprechender Pflegeprodukte als notwendig und angemessen anzusehen ist. Eine Notwendigkeit wurde jedoch beispielsweise bei der Anschaffung einer speziellen Abendgarderobe abgelehnt. In diesem Fall wurde der Beklagte zu einer Zahlung von 500 Euro verpflichtet.
Soweit du also keine Luxusgüter gekauft hast, sondern lediglich Ersatzkäufe getätigt hast, besteht meiner Ansicht nach ein Anspruch gemäß Art. 19 MÜ. Das Argument der Fluggesellschaft, dass du nur 50 % der Kosten ersetzt bekommen sollst, da die Kleidung auch über den Urlaub hinaus getragen werden könne, ist für mich wenig überzeugend. Fast jeder Gegenstand der Ersatzweise gekauft wird, ist länger als 14 Tage nutzbar. Im Zirkelschluss würde das bedeuten, dass ein Fluggast nie den vollen Umfang der getätigten Einkäufe bei Gepäckverspätung ersetzt bekommen könnte. Dies würde zur Umgehung des Art. 19 MÜ führen. Daher vertrete ich dich Meinung, dass dir ein Anspruch in voller Höhe zusteht.
2. Rückflug
Des Weiteren kam es auch auf dem Rückflug zu einer Gepäckverspätung. Wenn überhaupt, wirst du hier wohl geringere Geldzahlungen fordern können, als auf dem Hinflug. Es könnte sogar sein, dass sich die Airline prinzipiell weigert eine Entschädigung zu zahlen, da dein Zielflughafen gleichzeitig dein Wohnort ist. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass eine solche Weigerung rechtens ist, da du wahrscheinlich auch dann Dinge nachkaufen musstest, welche du sofort brauchtest. Solche Ersatzkäufe könntest du somit auch gemäß Art. 19 MÜ geltend machen. Dem kann sich die Airline dann nur entziehen, wenn sie nachweist, dass sie und ihre Leute alle Maßnahmen getroffen haben, um einen Verspätungsschaden abzuwenden oder es nicht möglich war solche Maßnahmen zu ergreifen. Das geschilderte Unwetter stellt für mich keinen Umstand dar, durch welchen es der Fluggesellschaft oder ihren Leuten nicht möglich gewesen wäre, einen Verspätungsschaden zu vermeiden. Folglich kann meiner Ansicht nach auch hier ein Anspruch gemäß Art. 19 MÜ geltend gemacht werden.
3. Form und Frist
Dieser Anspruch ist gegenüber des ausführenden Luftfahrtunternehmens form-und fristgerecht geltend zu machen. Gemäß Art. 31, Abs. 2, S. 2 des Montrealer Übereinkommens muss eine Verspätungsanzeige innerhalb von 21 Tagen, nachdem der Fluggast das Gepäck bekommen hat beim Luftbeförderungsunternehmen eingehen. Die Verspätungsanzeige muss zudem schriftlich erfolgen und begründet werden. Des Weiteren muss dargelegt werden, welche Anschaffungen aufgrund der Gepäckverspätung getätigt wurden. Rechnungen müssen dabei stets aufgehoben werden, da das Gericht andernfalls die Ausgaben nicht nachvollziehen kann.
4. Haftungshöchstgrenze
Maßgebend für die Höhe der Erstattungszahlung ist Art. 22 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens. Die Haftungshöchstgrenze beträgt demnach 1000 Sonderentziehungsrechte. Aufgrund der Teuerungsrate in den letzten Jahren wurde diese Grenze auf 1131 Sonderentziehungsrechte erhöht. Dies führt zu einer Verbesserung der Position der Fluggäste. 1131 SZR entsprechen circa 1414 Euro. Mithin kann ein Fluggast maximal 1414 Euro für eine Gepäckverspätung erstattet bekommen. Dies gilt pro Fluggast und nicht pro Gepäckstück.
EuGH, Urteil vom 06.05.2010, Az: C-63/09 (Das Urteil ist sehr interessant und behandelt einige Fragen aus den EU Fluggastrechten. Du kannst das Urteil im Internet nachlesen, einfach googlen "reise-recht-wiki.de EuGH C-63/09")
In diesem Urteil wird die rechtliche Problematik der Haftungshöchstbeträge des Montrealer Übereinkommens besprochen.
5. Schlussfolgerung
Pro Person können somit maximal 1414 Euro für die Verspätung des Gepäckstückes geltend gemacht werden. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, dass ich es als ungerechtfertigt erachte, dass die Airline nur 50 % der Kosten tragen will. In einem solchen Fall muss Durchhaltevermögen bewiesen werden. Notfalls sollte auch das Einholen eines anwaltlichen Rates in Betracht gezogen werden.