Lieber Fragesteller,
Sie schildern einen konkreten Einzelfall mit konkreten Fragen zu diesem Sachverhalt. Bitte beachten Sie, dass die folgenden Ausführungen lediglich allgemein gelten und keinen Rechtsrat in Bezug auf Ihren Einzelfall darstellen:
Annulliert eine Fluggesellschaft die vertraglich vereinbarte Flugbeförderung, storniert sie den Flug einseitig oder bucht sie die Flugpassagiere um, ist die Airline verpflichtet, die Fluggäste über die Annullierung oder Flugstreichung vorab zu informieren. Häufig buchen Verbraucher Flüge über sog. Vermittler und Flugbuchungsportale (wie z.B. Opodo, Fluege.de oder Expedia.de). Dies ist insoweit misslich, als dann bezüglich der Informations- und Hinweispflichten immer ein Dritter involviert ist und die Fluggesellschaften häufig lediglich die Vermittler informieren. Trotzdem bleiben sowohl der Vermittler, als auch die Fluggesellschaft in der Pflicht zur Erfüllung der ihnen obliegenden Vertragsansprüche.
Informiert die Fluggesellschaft Passagiere zu spät über die Flugannullierung oder gar nicht, haben Fluggäste gemäß Artikel 5 der europäischen Fluggastverordnung (EG) Nr. 261/2004 einen Anspruch auf
1. Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (kostenlose Mahlzeiten, Essen, Getränke, Telefonate, Hotel, Taxi (vom/zum Hotel), Internetzugang, E-Mails)
und zusätzlich (!)
2. einen kostenfreien Alternativflug zum Zielort zum frühestmöglichen Zeitpunkt
und zusätzlich (!)
3. Entschädigung und Ausgleichszahlung in Höhe von 250, 400 bzw. 600 Euro pro Person, wenn der Alternativflug später als 2 Stunden (nicht zu verwechseln mit der Schwelle der Rechtsprechung von 3 Stunden Verspätung) nach der vertraglich vereinbarten Flugzeit am Zielort eintrifft.
Die Pflichten aus den Punkten 1. und 2. auf kostenfreie Zuverfügungstellung von Mahlzeiten, Hotelunterkunft, Taxifahrten und einen kostenfreien Alternativflug trifft die Fluggesellschaft immer. Der Anspruch ist ein verschuldensunabhängiger Anspruch, der auch in Fällen sog. force majeur / höherer Gewalt oder bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, wie z.B. Streik, erfüllt werden muss.
Die Durchsetzung des Anspruchs auf Entschädigung und Ausgleichszahlung (Punkt 3.) dagegen hängt davon ab, ob sich die Fluggesellschaft gemäß Erwägungsgrund Nr. 14 der VO (EG) Nr. 261/2004 entlasten kann. Dazu müssten außergewöhnliche Umstände zur Flugannullierung geführt haben. Ein Streik ist grundsätzlich ein außergewöhnlicher Umstand. Fluggäste sollten jedoch die Umstände des Einzelfalles genauestens prüfen. Fluggesellschaften führen „Streik“ als Entlastungsgrund nahezu reflexartig in vielen Fällen an. Auch wenn in vielen Ländern Europas gelegentlich gestreikt wird, korreliert die Anzahl der Entlastungsversuche der Airlines mit der „Ausrede Streik“ nicht mit der tatsächlichen Anzahl von vereinzelten Arbeitsniederlegungsmaßnahmen.
Fluggäste sollten zudem beachten, dass die Fluggesellschaft die vollumfängliche Darlegungs- und Beweislast für
1. die Information, ob und wann der Fluggast informiert wurde, trifft (gem. Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 261/2004). Dieser Beweislast können Fluggesellschaften häufig nicht nachkommen, da sie z.B. den Zugang einer E-Mail-Nachricht nicht beweisen können.
2. das Vorliegend außergewöhnlicher Umstände i.S.d. Erwägungsgrundes 14. Der VO (EG) Nr. 261/2004 trifft. Die Gerichte legen die Anforderungen an die Führung des Entlastungsbeweises sehr hoch, so dass es den wenigsten Fluggesellschaften vor Gericht gelingt, sich entlasten zu können.
Ich hoffe, Ihnen eine erste hilfreiche Orientierung gegeben zu haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Jan Bartholl
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