Hallo zusammen,
bei einem Fall dieser Art ergibt sich eine ganze Reihe an Rechtsfragen. Zuerst sollte festgestellt werden, welche (1) Ansprüche bei einer Flugverspätung überhaupt bestehen. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der (2) relevante Verspätung: Was, wenn sich nur der Zubringerflug verspätete, der eigentliche Flug jedoch planmäßig stattfand? Sobald der Passagier seine Ansprüche versucht geltend zu machen, wird von der Fluggesellschaft oft das Argument vom (3) außergewöhnlichen Umstand vorgetragen, doch welche konkreten Sachverhalte können eine Zahlung der zustehenden Ausgleichszahlungen überhaupt ausschließen. Und letztendlich drängt sich die Frage auf, ob auch (4) „indirekte“ Schäden (entgangener Gewinn, Verdienstausfall, etc.) ersatzfähig sind.
(1) Ansprüche bei einer Flugverspätung
Bei einer Flugverspätung hat der Passagier dann mehrere Ansprüche aus Art. 6 VO (EG) Nr. 261/2004, abhängig von der Flugstrecke und der zu dieser im Verhältnis stehenden Verspätung:
1.) Anspruch auf Betreuungsleistungen wie Verpflegung und Unterbringung, aber auch kostenlose Nutzung von Telefon und Telefax, sowie Transport zum Hotel i.S. d. Art. 9 VO (EG) Nr. 261/2004
2.) Anspruch auf Erstattung des Flugtickets und Rückbeförderung oder Anspruch auf anderweitige Beförderung zum Endziel zum frühestmöglichen Zeitpunkt gemäß Art. 8 VO (EG) Nr. 261/2004
3.) Anspruch auf Ausgleichszahlung zwischen 250 € und 600 € (abhängig von der Flugstrecke) bei einer Verspätung über 3 Stunden (so AG Nürtingen, Urteil vom 25.01.2013, Az. 46 C 1399/12 [leicht mittels google zu finden unter „AG Nürtingen 46 C 1399/12 Reise-Recht-Wiki.de“ als erstes Ergebnis in der Liste] in Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH) nach Art. 5 VO (EG) Nr. 261/2004
Während die EG (VO) nur in Europa ihre Rechtswirkung entfaltet regelt das Montrealer Übereinkommen das Fluggastrecht auf „globaler“ Ebene. Nach Art. 19 Montrealer Übereinkommen hat der Luftfrachtführer „den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden [...] entsteht.“
Inwieweit diese beiden Anspruchsgrundlagen in Konkurrenz zueinander stehen, soll unter (4) „indirekte“ Schäden geklärt werden.
(2) relevante Verspätung
Für die genaue Anspruchsberechnung relevant ist der Zeitpunkt, an dem der Fluggast tatsächlich den Zielflughafen erreicht, also die absolute Verspätung, und nicht etwa die kleine Verspätung eines einzelnen Zubringerfluges.
Dies wird regelmäßig durch die Rechtsprechung bestätigt, etwa durch AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.11.2012, Az. 3 C 1226/12 (32)
(3) außergewöhnlichen Umstand
Die Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 können gemäß Art. 5 III VO (EG) Nr. 261/2004 infolge von außergewöhnlichen Umständen ausgeschlossen sein. Entsprechend hierzu schließt auch das Montrealer Übereinkommen mit Art. 19 Satz 2 die Haftung des Luftfrachtführers für solche Schäden aus, bei denen er nachweisen kann, dass er sie unter Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen nicht hatte bzw. hätte verhindern können und sie somit nicht zu vertreten hat.
Außergewöhnliche, unvermeidbare Umstände sind in diesem Sinne beispielsweise politische Instabilität, Sicherheitsrisiken wie Terrorgefahr, medizinische Notfälle, Vogelschlag und Wetterbedingungen.
Mängel an den Maschinen und technische Defekte fallen nicht unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände:
EuGH, Aktenzeichen C-549/07 EuGH
Kein außergewöhnlicher Umstand bei technischen Defekten, die im Zuge von regelmäßiger Wartung und Instandhaltung hätten verhindert werden können.
Ebenso
BGH Karlsruhe, Urteil vom 14.10.2008, Az. X ZR 35/08
und
AG Köln, Urteil vom 05. April 2006, Az. 118 C 595/05
(4) „indirekte“ Schäden
Wie bereits festgestellt regeln sowohl die EG (VO) 261/04, als auch das Montrealer Übereinkommen die Flugverspätung auf unterschiedliche Weise.
Diese beiden Regelungen schließen einander nicht zwingend aus, sondern ergänzen sich vielmehr. Dabei ist zu beachten, dass in keinem Fall eine Überkompensation von Schäden durch die Anwendung beider Normen stattfinden kann: Für eine Schadensposition kann auch nur immer ein Schadensersatz verlangt werden.
Fraglich ist also, ob hier mit dem Verdienstausfall verschiedene Schadenspositionen vorliegen.
Die Ausgleichsanspruchsregelung der VO (EG) Nr. 261/2004 bei einer Verspätung dient in erster Linie der Abschreckung der Fluggesellschaft und der Genugtuung des betroffenen Fluggastes. Die Ausgleichszahlungen sollen den dem Fluggast entstandenen Ärger wettmachen, und sind in diesem Sinne nicht als klassischer Schadensersatz zu qualifizieren. Daher ist die Höhe der Ausgleichszahlungen auch nicht an den Ticketpreis gebunden oder abhängig von den Kosten, welche dem Passagier infolge der Verspätung entstehen. Diese Unkosten (z. B. für Hotelunterbringung und Verpflegung) muss die Fluggesellschaft ohnehin übernehmen.
Die Verspätung ist mit der Ankunft am Zielflughafen abgeschlossen; der Haftungszeitraum also mit der Landung quasi beendet. Irrelevant ist nach der EG (VO) 261/04, ob der Passagier anschließend noch weiterreisen wollte.
Was ist also mit den an Anschluss an die Verspätung entstandenen Schäden?
Die EG (VO) leistet eben nur einen Ausgleichsanspruch für die Verspätung, und keinen Schadensersatz für die nach der Verspätung entstandenen Schäden. Einer Anwendung des Art. 19 Montrealer Übereinkommen steht somit nichts entgegen. Nach diesem hat die Fluggesellschaft alle kausal infolge der Verspätung entstandene Schäden zu ersetzen. Davon erfasst können neben den Mehrkosten für eine (Flug-) Ersatzbeförderung (Achtung: nicht durchsetzbar, da bereits von der EG (VO) gedeckt) auch zusätzliche Übernachtungs- und Verpflegungskosten sein, sofern eben nicht bereits in der Verordnung mitinbegriffen.
Eine kleine Anmerkung zum Schluss:
Die festgestellten Ansprüche bestehen für je betroffenen Reisenden und können nicht zusammengefasst werden. Jeder Reisende hat für sich betrachtet unter den jeweiligen Haftungsgrenzen die entsprechenden Ansprüche.