Lieber Fragesteller,
Sie hatten mit der Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH einen Flug gebucht. Leider konnte Condor nicht pünktlich abfliegen, sodass Sie erst mit einer Verspätung von 18 Stunden an Ihrem Zielort ankamen. Als Grund für die Verzögerung gibt Condor einen technischen Defekt auf dem Vorflug an.
Aufgrund der Verspätung könnten Ihnen Ansprüche aus der Fluggastrechte Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 entstanden sein. Diese regelt die Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung von Flügen.
Die Verspätung könnte einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechte Verordnung (VO) begründen.
Folgende Preistabelle dürfte Sie interessieren:
- Bei einer Verspätung von 2 Stunden auf einer Strecke von 1500km oder weniger: 250€
- Bei einer Verspätung von 3 Stunden auf einer Strecke innerhalb der EU oder bis 3500km: 400€
- Bei einer Verspätung von 4 oder mehr Stunden auf einer Strecke außerhalb der EU von 3500km oder mehr: 600€
Sie sind mit einer Verspätung von 18 Stunden an Ihrem Zielflughafen gelandet. Dies begründet daher grundsätzlich einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 VO.
Der Anspruch könnte jedoch ausgeschlossen sein, wenn sich die Fluggesellschaft auf einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 VO beruft. Demnach entfällt der Anspruch, wenn die Fluggesellschaft nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ wird in der Verordnung selbst nicht definiert, sondern nur in Ziff. 14 der Erwägungsgründe mittels einer Aufzählung (politische Instabilität, schlechte Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und Streiks) präzisiert. In Ihrem Fall macht die Fluggesellschaft auf einen technischen Defekt auf dem Vorflug aufmerksam und sieht diesen als außergewöhnlichen Umstand an. Fraglich ist zum einen, ob ein technischer Defekt überhaupt einen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann. Zum anderen ist es fragwürdig, ob sich ein außergewöhnlicher Umstand des Vorfluges auf einen Haftungsausschluss für den darauffolgenden Flug durchschlagen kann.
1. Technischer Defekt als außergewöhnlicher Umstand
In der Regel wird ein technischer Defekt als außergewöhnlicher Umstand verneint, da –der Flugbetrieb seiner Natur nach mit solchen konfrontiert wird. Entscheidend ist jedoch, ob das zugrundeliegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit vorkommendes Ereignis darstellt oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft völlig entzogen ist.
Folgende Urteile sollen diese Aussage präzisieren:
EuGH vom 22.12.2008, C 549/07 (einfach zu finden bei Google unter "C 549/07 reise-recht-wiki")
Hier hat das Gericht entschieden, dass ein auftretendes technisches Problem am Flugzeug, nur dann unter den Begriff der "außergewöhnlichen Umstände" zu subsumieren sei, wenn das Problem auf Vorkommnisse zurückgeht, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung
LG Darmstadt, Urteil vom 01.12.2010, 7 S 66/10, (ganz einfach zu finden, wenn Sie bei Google „LG Darmstadt 7 S 66/10 Reise-Recht-Wiki eingeben“)
Hier hat das Gericht festgestellt, dass es noch nicht als ausreichend erachtet werden könne, falls sich die Fluggesellschaft darauf beruft, dass sie alle vorgeschriebenen Wartungsarbeiten ordnungsgemäß durchgeführt hat. Allein dieser Nachweise sei noch nicht ausreichend um zu beweisen, dass alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3VO ergriffen wurden, um die große Verspätung zu verhindern.
AG Rüsselsheim, Urteil vom 20.07.2011, Az. 3 C 739/11 (36)(ganz einfach zu finden, wenn Du bei Google eingibst“ AG Rüsselsheim 3 C 739/11 (36) reise-recht-wiki“)
Das Gericht verdeutlicht mit diesem Urteil, dass die "außergewöhnlichen Umstände" außerhalb des Verantwortungsbereichs der Fluggesellschaft liegen müssen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Sabotage oder terroristische Handlungen Ursache des technischen Defektes sind.
BGH, Urteil vom 24.09.2013Az. X ZR 160/12 (ganz einfach zu finden, wenn du bei Google „BGH X ZR 160/12 reise-recht-wiki“ eingibst)
Hier wurde durch einen Vogelschlag ein Turbinenschaden verursacht. In diesem Fall entschied das Gericht, dass ein außergewöhnlicher Umstand zu bejahen sei, da der Umstand nicht vermieden werden konnte und auch keine zumutbaren Gegenmaßnahmen ersichtlich waren.
Ob ein technischer Defekt einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO .darstellt kann somit nicht pauschalisiert werden und ist auf die individuellen Umstände des Einzelfalles zu beziehen.
2. Außergewöhnlicher Umstand auf dem Vorflug
LG Darmstadt, Urteil vom 6. November 2013 Az. 7 S 208/12 (einfach zu finden wenn du folgendes googelst „ LG Darmstadt 7 S 208/12)
Hier hatte sich das Gericht mit einem Fall zu befassen, in dem der Kläger 26 Stunden verspätet an seinem Zielflughafen in München ankam. Hier bestand die Problematik, dass das Flugzeug, das für den Flug vorgesehen war, auf dem Hinflug von München nach Ägypten eine außerplanmäßige Sicherheitslandung in Tirana (Albanien)durchführen musste. Dies führte zu erheblichen Verspätungen im Betriebsablauf, da erst eine Ersatzmaschine beordert werden musste. Gegen die Zahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 VO hat die Fluggesellschaft hat unter anderem eingewandt, dass der Vorflug wegen eines im Flugzeug festgestellten Brandgeruchs habe notlanden müssen und es sich bei der Ursache der Verspätung um einen unerwarteten Flugsicherheitsmangel und damit um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der EG-VO gehandelt habe. Dem stimmte das Gericht zu. Die Tatsache, dass sich die geschilderten Vorfälle nicht während des von den Klägern gebuchten Fluges von Hurghada nach München selbst ereignet haben, sondern auf dem unmittelbaren Vorflug dieser Maschine von München nach Hurghada, ändere an dieser Ansicht nichts.
Ähnlich entschied auch der BGH im Falle eines Vogelschlages:
BGH Urteil vom 24.09.2013, Az. X ZR 160/12 (auch ganz einfach bei reise-recht-wiki zu finden)
In diesem Fall er ereignete sich ein Vogelschlag beim Landeanflug des Hinfluges. Hier ereignete sich ein Vogelschlag beim Landeanflug des Hinfluges. Hier verwies der BGH auf den Text des Erwägungsgrundes 15 zur Fluggastrechte-Verordnung. Demnach seien jedenfalls die auf dem direkten Vorflug eingetretenen Umstände in die nach Art. 5 Abs. 3 der EG-VO gebotene Bewertung mit einzubeziehen.
Ich gelange aufgrund der geschilderten Gerichtsentscheidung zu der Ansicht, dass sich ein außergewöhnlicher Umstand des direkten Vorfluges durchaus auf den darauf folgenden Flug durchschlagen kann. Im Ergebnis kommt es jedoch auf die genauen Umstände des Einzelfalls an.