In dem von Ihnen geschilderten Fall haben Sie Ihren Anschlussflug in Paris nur verpasst, weil Ihr Flug dorthin mit einer Verspätung von weniger als 1 Stunde abgeflogen ist. Überhaupt geht es bei einer Verspätung nicht um die Verspätung beim Abflug, sondern um die Verspätung am Zielort. Dazu das folgende Urteil:
EuGH, Urteil vom 04.09.2014, Az.: C-452/13 8 (einfach zu finden bei Google unter „ reise-recht-wiki“)
Der EuGH hat nun klargestellt, dass eine Verspätung beim Abflug keine Voraussetzung für die Entschädigung ist. Es kommt also allein auf die Ankunftsverspätung am Zielflughafen an. Für den Ankunftszeitpunkt ist das Öffnen einer Tür des Flugzeugs maßgebend, und nicht wie bisher von den Gerichten angenommen das Berühren des Bodens (Touch-Down) oder das Erreichen der Parkposition (on-block).
Sie sind mit einer Verspätung von 1 Tag an Ihrem Zielflughafen in Wien gelandet. Sie könnten demnach einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen haben. Fraglich ist, inwieferen AirFrance für die Verspätung haften muss, da der erste Flug weniger als 1 Stunde Verspätung hatte und dieses an sich zu keinem Anspruch auf Ausgleichszahlung führen würde.
Der Europäische Gerichtshof in Brüssel (EuGH) hat am 26. Febuar 2013 in einem Urteil die Passagierrechte jedoch deutlich gestärkt. Demnach haben Reisende nun auch Recht auf Entschädigungszahlung durch die Fluggesellschaft, wenn sie wegen eines nur leicht verspäteten Zubringerfluges ihren Anschlussflug verpasst haben. Laut Urteil ist für den Anspruch auf eine Ausgleichszahlung allein die Verspätung am Endziel entscheidend. Bisher war die Rechtsprechung davon ausgegangen, dass im Fall mehrteiliger Flüge eine getrennte Betrachtung jeder einzelnen Flugstrecke erfolgen muss. Dies galt bisher auch, wenn beide Flüge in Verbindung gebucht wurden. Im Fall einer Verspätung des Zubringerfluges unter einer Verspätungszeit von drei Stunden konnten Fluggäste bis zu dem Urteil vom 26. Februar 2013 keine Rechte geltend machen – auch wenn die Verspätung am Endziel wegen des verpassten Anschlussfluges erheblich war. Die verspätete Landung am Endziel war also nicht relevant für einen Entschädigungsanspruch.
Ihr erster Flug hatte weniger als 1 Stunde Verspätung, weshalb Sie Ihren Anschlussflug verpasst haben. Damit steht Ihnen ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen zu.
LG Frankfurt, Urteil vom 26.07.2013 – Az.: 2-24 S 47/12 (einfach zu finden bei Google unter "reise-recht-wiki")
Es ist davon auszugehen, dass ein verpasster Anschlussflug und eine entsprechende Verspätung von mindestens 3 Stunden am Endziel grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch auslöst – auch dann, wenn der Umsteigeflughafen außerhalb der EU liegt oder die Zubringer- und Anschlussflug von verschiedenen Fluggesellschaften durchgeführt wurden.
Sie haben also einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gegen AirFrane. Die Höhe Ihres Anspruchs ergibt sich aus Artikel 7 der Europäischen Fluggastrechte Verordnung.
"Artikel 7 Ausgleichsanspruch. (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlung in folgender Höhe:
a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger
b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen."
Eine Fluggesellschaft muss jedoch keine Ausgleichszahlungen leisten, wenn ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Artikel 5 der VO Nr.261/2004 der europäischen Fluggastrechte Verordnung Grund für die Annullierung war. Ein außergewöhnlicher Umstand liegt immer dann vor, wenn die Umstände außerhalb des Machtbereiches der Fluggesellschaft liegen und diese deshalb keinen Einfluss nehmen konnte oder diesen Umstand verhindern konnte. Ein außergewöhnlicher Umstand ist zum Beispiel Streik des Bodenpersonals oder schlechte Wetterbedingungen. In Ihrem Fall war Grund für die Verpätung, dass ein Passagier nicht zum Boarding erschienen ist und sein Gepäck wieder ausgeladen werden musste. Entscheidend ist nun, ob dieses einen außergewöhnlichen Umstand begründet, welcher die Fluggesellschaft von einer Ausgleichszahlung befreien müsste.
Hier hat das AG Nürnberg folgendes entscheiden:
AG Nürnberg, Endurteil v. 28.02.2017 – 12 C 4921/16 (einfach zu finden bei Google unter "reise-recht-wiki")
Dass ein Fluggast spontan zum Flug, für den er bereits eingecheckt war, nicht erscheint, ist typisches Risiko beim Betrieb eines Verkehrsflugzeuges, ebenso wie die Tatsache, dass bereits eingechecktes Gepäck dann wieder ausgeladen werden muss. Es handelt sich mithin nicht um einen „außergewöhnlichen Umstand“ iSd Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004.
Das AG Nürnberg halt also entschieden, dass ein solcher Umstand keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Sie haben also einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen gegen Air France.